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2253
Beihefte
Militär⸗Wochenblatt
1908.
Herausgegeben
von
v. Arobel,
Generalmajor a. D.
Mit Karten und Skizzen.
Berlin. Ernſt Siegfried Mittler und Sohn
Abniglise gofbus handlung Kochſtraße 68—7l.
Alle Rechte aus dem Geſetz vom 19. Juni 1901 ſowie das Überſetzungsrecht ſind vorbehalten.
Die Lehren für die Kavallerie aus dem Mandſchuriſchen Feldzuge. Vortrag, gehalten in der Militäriſchen Geſellſchaft zu Berlin am 4. Dezember 1907 von v. Pelet⸗Narbonne, Generalleutnant z. D. Mit vier Skizzen
Wanderungen über Franzöſiſche Schlachtfelder des Krieges 1870/71. Vortrag, gehalten in der Militäriſchen Geſellſchaft zu Berlin am 11. Dezember 1907 von v. Hülſen, Major im Generalſtabe des Gardekorps. Mit drei Skizzen
Der Angriff über die Ebene nach dem Ex. R. 1906 beleuchtet durch Beiſpiele aus der neueſten Kriegsgeſchichte. Vortrag, gehalten vor den zur Militär⸗ Schießſchule kommandierten Offizieren von Breitkopf, Oberſt und Kommandeur der Königlich Baheriſchen Militär-Schießſchule. Mit vier Skizzen
Das Gefecht von Puſchulin⸗Pjelin am 31. Juli 1904. Von Hermann Giehrl, Leutnant im Königl. Bayeriſchen 2. e Kronprinz. Mit Skizzen. N de et e
Ein Franzöſiſches Nörpontandper als Kriegsſpielaufgabe. Von Balck, Oberſt⸗ leutmmant beim Stabe des Infanterieregiments Graf Kirchbach (1. Nieder— ſchleſ.) Nr. 46. r ët ef d e ee e ie
Die Artillerie im Feſtungskriege. Von Oberleutnant Johann Hanika, Generals ſtabsoffizier des Artilleriedirektors des K. u. K. en en 15. Armeekorps u ee ee a: 8
Die neue Felddienſt⸗Ordnung
Über Material, Schießverfahren, Taktit iin Organiſation e Feldartillerie im Vergleich zur Franzöſiſchen. Vortrag, gehalten in der Militäriſchen Geſellſchaft zu Berlin am 4. Februar 1908 von v. Lenski, Major im Ge⸗ neralitabe der IV. Armee⸗Inſpektion
Die Exekution gegen Herſtal im September e Ottober 1740. Nach den Akten des Geheimen Staatsarchivs bearbeitet von Frhr. v. un Rittmeiſter, zugeteilt dem Großen Generalſtabe.
Vorbereitung, Durchführung, Beurteilung gefechtsmäßiger SE in EE Abteilungen. Beſonderes über gefechtsmäßiges Belehrungs- und Prüfungs⸗ ſchießen. Vortrag, gehalten vor den zur Militär-Schießſchule kommandierten Offizieren von Oberſt Breitkopf, Kommandeur des Königl. Bayer. 3. Inf. Regts. Prinz Karl von Bayern, früher Kommandeur der Königl. Bayer. Militär⸗Schießſchule. Umgearbeitet im Frühjahr 1908
Port Arthur und die Theorie vom Feſtungskrieg. Von Vogel, Oberleutnant im 2. Kurheſſiſchen Feldartillerie-Regiment Nr. 47. e
Die Schlacht bei Zorndorf am 25. Auguſt 1758. Vortrag, gehalten in ber
Militäriſchen Geſellſchaft zu Berlin in Gegenwart Seiner Majeſtät des
Kaiſers und Königs am Friedrichstag 1908 von Friederich, Oberſtleutnant
und Abteilungschef im Großen Generalſtabe, Lehrer an der Kriegsakademie.
Mit fünf Skizzen im Text und zwei Plänen . ENEE
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Die Heſſen⸗Caſſelſchen Truppen in den Feldzügen der Jahre 1706 und 1707 in.
Oberitalien und der Provence. Nach den Urkunden und Akten des König— lichen Staatsarchivs zu Marburg von F. v. Apell, Generalmajor z. D. Kompetenzſtreit zwiſchen dem Schwäbiſchen Kreis und dem Reichs-General⸗ Feldmarſchall Herzog Albrecht von Sachſen-Teſchen, Königliche Hoheit, im Jahre 1795. Auf Grund von Archivakten bearbeitet von A. v. Schempp, Königlich Württembergiſchem Generalmajor z. D. dt te E E ër
Die Ereigniſſe vor der erſten Schlacht von Plewna. Eine kriegsgeſchichtliche Studie. Von Rücker, Hauptmann und Kompagniechef im 9. Lothringiſchen Infanterieregiment Nr. 173. Mit Skizze .
Nord als Erzieher unſeres Heeres. Vortrag, gehalten in SN Militäriſchen Get, ſchaft zu Berlin am 4. November 1908 von Walter v. Hülſen, Oberſt⸗ leutnant beim Stabe des Königin Auguſta Garde-Grenadierregiments Nr. 4. SS ZECHES
Schwedens Teilnahme am Steben egen Kriege. EN gehalten im wiſſen⸗ ſchaftlichen Verein zu Stralſund von Arnold, Hauptmann und Kompagnie⸗ chef im Infanterieregiment Prinz Moritz von . (5. e Nr. 42. Mit Skizze e. ci
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Die Lehren für die Ravallerie aus dem Mandſchuriſchen Jeldzuge.
Vortrag, gehalten in der Militäriſchen Geſellſchaft zu Berlin am 4. Dezember 1907 von v. Pelet⸗Narbonne, Generalleumant z. D.
Mit vier Skizzen. 5 | | Nachdruck verboten.
) Uberſetzungsrecht vorbehalten.
Während der Mandſchuriſche Krieg tobte, hörte man von der Wirkſam⸗ keit der Kavallerie ſo gut wie nichts. In den Schlachtberichten wurden ſie
nicht erwähnt, im Aufklärungsdienſt trat als neue eigenartige Erſcheinung
nur der wunderbar geleitete Spionagedienſt der Japaner hervor. Die Ent- täuſchung der Freunde der Reiterwaffe war groß.
Wie die Ruſſiſche Armee überhaupt, ſo hatte man bei uns auch die Ruſſiſche Reiterei bedeutend überſchätzt. Man glaubte, dieſe werde die numeriſch ſo viel ſchwächere Japaniſche, die man als minderwertig kannte, einfach überrennen, vernichten. Und nun geſchah von alledem nicht nur nichts, ſondern dieſe ſtarke Ruſſiſche Reiterei hatte anſcheinend auf den Aus— gang des Feldzuges kaum einen Einfluß geübt.
Der Gedanke, daß hiernach die Kavallerie aus jenem Feldzuge allgemein- gültige Lehren zu ziehen kaum imſtande ſein würde, lag nahe. Nachdem nunmehr aber deſſen Verlauf bekannter geworden iſt, kann man an die Prüfung der Ereigniſſe aus jenem Geſichtspunkte herantreten. Dabei zeigt es ſich denn, daß aus dem Kriege ſehr wohl nützliche Folgerungen auch in poſitiver Richtung für die Ausbildung und den Gebrauch der Ka- vallerie gezogen werden können. Indeſſen iſt dabei in Rückſicht auf die, wie noch erörtert werden ſoll, ganz eigenartigen Verhältniſſe, die hier obgewaltet haben, beſondere Vorſicht geboten. Es wird feſtzuſtellen ſein, in welcher Hinſicht ein Studium jenes Krieges uns für Ausbildung und Gebrauch der Reiterwaffe Fingerzeige bieten kann, inwieweit aber auch wichtige Fragen, die uns beſchäftigen, durch den Kriegsverlauf eine Förderung nicht er— fahren haben, |
Das ſoll unterſucht werden, indem zunächſt die beſonderen Umstände, unter denen der Krieg geführt worden iſt, und dann einzelne beſonders charakteriſtiſche Erſcheinungen des Feldzuges betrachtet werden.
Beibeft z. Mil. Wochenbl. 1908. 1. Heft.
Keine Waffe ift jo abhängig von der Eigenart des Geländes wie die Kavallerie. Nur unter Berückſichtigung jener Eigenart kann man ein zutreffendes Urteil über ihre Tätigkeit gewinnen.“)
Der in Frage ſtehende Teil des Kriegsſchauplatzes, die Südmandſchurei und Korea, wird beherrſcht durch den Gebirgsſtock des Tſchanboſchan, mit dem bis 2240 m aufſteigenden Tafelberg des Peiſchan, dem Quellgebiet dreier großer Ströme, des Jalu, des Tumen und des Sungari. An dies Gebirgsland von teilweiſe alpinem Charakter ſchließt ſich weſtlich die Ebene des Liaoho an, die jenſeits der Chineſiſchen Grenze, die von den Kriegführenden nicht überſchritten werden durfte, in die Mongaoliſche Steppe übergeht. Dazu kommen noch ziemlich ausgedehnte Ebenen im Mündungs— gebiet der Flüſſe, die ſich in die Bai von Korea ergießen. Etwa neun Zehntel des Landes trägt Gebirgscharakter.
Von dem Gebirgsſtock des Peiſchan ſtrahlen drei hohe weitverzweigte Mittelgebirge aus, von denen das nach Süden ziehende die Richtung zur Koreaniſchen Oſtküſte nimmt und dieſer nahe einem Rückgrat vergleichbar die Halbinſel in einer mittleren Höhe von 1500 bis 1800 m durchzieht. Von maſſenhaftem Urwald bedeckt, unbewohnt, wird dieſer Gebirgsrücken nur von wenigen Pfaden durchquert.
Einen zweiten anfänglich etwa 1200 m hohen Mittelgebirgsrücken ent— ſendet der Tſchanboſchan weſtlich in der allgemeinen Richtung auf Mukden. Die weiteren Verzweigungen, die ſich nördlich bis Girin am oberen Sungari, weſtlich allmählich abflachend bis an die Bahn Kintſchou—Mukden, ſüdlich bis zur Küſte und öſtlich an den Jalu hinziehen, bilden das Liaotung— ſyſtem.““)
Für unſere Zwecke kommt dieſes beſonders in Frage. An der Stelle, wo die Hunhoquellen erreicht werden, nur noch 450 m hoch, wenden ſich Gebirgs— züge nach Norden und gegen die Bahn; ein Mittelgebirgsrücken von 600 m ſtreicht dagegen nach Südweſten und bildet das Rückgrat der Liaotung-Halb⸗ inſel. Der nordöſtliche Teil des Liaotungſyſtems, bis etwa an die Quellen des Intuho, ebenſo wie der Rücken zwiſchen dieſem Fluß und dem Jalu hat hohe ſteile Ränder, oft ſchluchtenartige ſumpfige Täler und iſt von maſſen— haftem Urwald bedeckt. Dieſer Teil iſt ſehr ſchwach bevölkert, faſt nur von Fußpfaden gekreuzt und daher ſchwer durchſchreitbar.
Weiter gegen Weſten und Süden nimmt die Waldbedeckung allmählich ab, bis ſie gegen die Bahn hin und auf der Halbinſel faſt ganz aufhört. Die Rücken haben indeſſen ſteile, zerriſſene Hänge, tief eingeſchnittene Tal— ſohlen und zeigen ein wildes Ausſehen. Die Bevölkerung iſt etwas dichter und wohlhabender, die Bebauung ſtärker. Die zahlreichen Wege ſind, wenn
*) S. Skizze 1. Nach Asinticus „Die Aufklärung im Ruſſiſch-Japaniſchen Kriege“. Berlin. Richard Schroeder. **) Soviel wie öſtl. des Liaoho.
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auch durchweg Naturwege, zur Not fahrbar. Die Gangbarkeit iſt dennoch wegen der ſteilen Hänge, der ſchlechten Beſchaffenheit der Wege nach Regen, güſſen, die auch die Flüſſe undurchfurtbar machen und die Talſohlen über— ſchwemmen, ſehr gering. Das Land bietet wenig für Unterkunft und Ver⸗ pflegung.
Beſſere Verhältniſſe zeigt der Rand des Liaotungſyſtems längs der Bahn und an der Küſte der Halbinſel. Hier findet ſich ein 10 bis 20 km breites Hügelland mit flachen, weiten Tälern.
Das Becken des Liaoho iſt beſonders in ſeinem ſüdlichen Teil von Tielin ab ſehr dicht bevölkert und bietet daher reichlich Unterkunft und Ver— pflegung. Es gibt dort zahlreiche, meiſt wohlhabende Dörfer von 500 bis 1000 Gehöften, es wird viel Gaoljan, Tſchumitza,“) Mais und Bohnen ge— baut, es finden ſich Brennereien und Olfabriken, die Schiffahrt iſt lebhaft.
Trotz des Mangels an Waldungen iſt die Ebene wegen der Worten Be— bauung von Gaoljan und Mais und bei dem Fehlen von Ausſichtspunkten wenig überſichtlich; beſonders die Gaoljanfelder bieten außerordentlich günſtige Gelegenheit zu Verſtecken und Überraſchungen aller Art.
Der Waſſerſtand der Flüſſe mit Ausnahme des Jalu, der ebenſo wie ſeine Nebenflüſſe aus einem waldreichen Gebirge kommt, iſt ein außer— ordentlich wechſelnder, daher bei Operationen ſchwer in Rechnung zu ſtellen, da ein ſtarker Regen das Bett völlig ausgetrockneter Flüſſe wieder voll— ſtändig anfüllen kann. Die meiſten Flüſſe der Südmandſchurei ſind klein und hindern die Bewegung namentlich nur wegen ihres tief eingeſchnittenen Bettes. Sie enthalten im gebirgigen Teil die bequemſten, oft einzigen Verbindungen, die aber in der Regenperiode unbenutzbar werden.
Die Südmandſchurei hat viele, aber durchaus ſchlechte Wege. Im Liaohobecken iſt das Wegenetz beſonders dicht, ebenſo in den Küſtenſtrichen. Im Gebirge gibt es ſehr wenige Wege, meiſt nur ſchlechte Pfade, die während der Regenzeit, wo die Flüſſe austreten, unbenutzbar werden. Es bilden ſich große ſumpfige Strecken, die Wege werden zu tiefen Waſſerrinnen, faſt jeder Fuhrwerksverkehr iſt unterbrochen. Nur ſehr wenige behalten ihre Richtung bei, die meiſten ſind Nebenwege, die benachbarte Orte verbinden; die Un— beſtändigkeit der Wege in Richtung und Beſchaffenheit erſchwert, da jede Zeitberechnung unſicher wird, die Truppenführung ſowie auch die Orien— tierung und Erkundung. Man kann ſich niemals auf eine noch ſo gute Karte und Beſchreibung verlaſſen, weil ſolche oft nach kurzer Zeit durch die Um— ſtände überholt ſind. Kurz vor dem Antritt einer Operation muß der Weg erſt wieder erkundet werden, mindeſtens durch Nachfrage bei der Bevölke— rung. Dieſer Umſtand iſt ſehr im Auge zu behalten, wenn man über die Durchführung von Heeresbewegungen oder von Erkundungen urteilt.
) Gaoljan iſt eine Maisart, deren Stengel eine Höhe erreichen, daß fie Reiter decken, Tiehumita.ift eine Hirſenart.
5 Gerade die Wegeverhältniſſe erheiſchen es, daß man dabei einen von dem gewohnten Maßſtab abweichenden anlegt.
Nur zwei Wege, die ſogenannte „Mandarinenſtraße“ von Girin über Mukden, Liaojan nach Port Arthur und die von Mukden über Sinmintin nach Schanhaikwan behalten ihre Richtung ſtändig bei. Die Beſchaffenheit dieſer Straßen iſt aber keineswegs beſſer als die der übrigen Wege, nur be— ſitzen ſie eine viel größere Breite und überſetzen die größeren Gewäſſer mittels ſtarker Fähren oder auf proviſoriſchen Brücken.“) Ein Ausbeſſern der Wege erfolgt höchſt ſelten. Der Winter iſt die Zeit der beſten Wege.
Im allgemeinen ergibt vorſtehende Schilderung des Kriegstheaters, daß dieſes in ſeinem überwiegenden Teil einen ſo unwirtlichen, für die Be— wegungen der Kavallerie ſo ungünſtigen Charakter aufweiſt, wie kein Land— ſtrich in Mitteleuropa, ein Umſtand, der bei Bezugnahmen auf unſere Ber: hältniſſe wohl zu beachten iſt. |
Ein Eingehen auf die Bevölkerung des Landes würde den Rahmen meiner Aufgabe überſchreiten. Erwähnt müſſen indes die Chunguſen werden, weil dieſe Räuberbanden die Japaner unterſtützten, den Ruſſen viel Schaden getan haben. Die Chunguſen ſetzen ſich aus verſchiedenen Ele— menten zuſammen: Unzufriedene mit der Ruſſiſchen Herrſchaft, Leute, denen von den Behörden nach ihrer Anſicht Unrecht geſchehen war, und die ſich rächen wollten, entlaſſene Soldaten, die als Räuber ihren Sold eintreiben wollen, Räuber von Handwerk. Sie brandſchatzten die Bewohner, die ſich nur durch eine Steuer Ruhe erkaufen konnten, und waren durchweg den Ruſſen feindlich geſinnt. Die Chineſiſchen Behörden unterſtützten ſie. Wäh— rend des Krieges ſollen ihre von Japaniſchen Offizieren geführten Banden eine Stärke bis zu 1000 Mann erreicht haben, modern bewaffnet, eine Bande ſogar mit Geſchützen verſehen geweſen ſein. Die Ruſſen hatten, um die Bahn zu ſchützen, eine große Zahl von Scharmützeln mit ihnen und ſollen zum Bahnſchutz angeblich rund 50 000 Mann benötigt haben. Daß die Japaner dieſe Elemente ausgenutzt haben, iſt erklärlich, erſetzten ſie ihnen doch durch die Beunruhigung der Ruſſiſchen rückwärtigen Verbindungen und die Nachrichten, die ſie brachten, in gewiſſem Grade den Mangel an Kaval— lerie.**)
Ich wende mich der beiderſeitigen Reiterei zu. Auch hier liegen die Verhältniſſe fo, daß eine einfache Übertragung der Erfahrungen auf einen Europäiſchen Feldzug nicht angeht. Wir wiſſen, daß die Ruſſiſche . zum überwiegenden Teil aus Kaſaken beſtand, die Armeedragoner,
* Bodhrüden aus Stangen mit einer Lage Hirſeſtroh als Belag, die ziemlich jeit find. Sie werden abgetragen, ſobald man furten kann.
) Nach Major Joſeph Schön „Der Kriegsſchauplatz in Oſtaſien“, Geographiſche Beſchreibung und Würdigung.
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nur in drei Regimentern vertreten, konnten nicht ins Gewicht fallen und find auch tatſächlich nirgends beſonders hervorgetreten. Von den Kaſaken— formationen iſt ſelbſt die tüchtigſte, die erſt im Oktober 1905 auf dem Kriegs— ſchauplatz eingetroffene 4. Donſche Diviſion, nicht mit dem Maßſtab Euro— päiſcher Kavallerie zu meſſen.
Es iſt bekannt, daß das Kaſakenweſen ſich bereits ſeit mehreren Jahren ſtark im Rückgange befindet. Die Urſache liegt in der fortſchreitenden Ver— mehrung der Kaſaken, die nach immer weiterer Teilung ihres Grund und Bodens ſchwer um ihre Erhaltung arbeiten müſſen. So ſind ſie bei manchen Heeren des kriegeriſchen Geiſtes verluſtig gegangen, auch die Pferdezucht wurde ſchlechter. Zu den guten Eigenſchaften des Kaſaken zählen Ausdauer, Willigkeit, Genügſamkeit, Schießfertigkeit, Orientierungsſinn, dagegen iſt er diebiſch, nicht wahrheitsliebend, ein ganz ſchlechter Pferdewärter und völlig verſtändnisloſer Reiter, der während der Operationen nie den mit allerhand Dingen überladenen Sattel von den Pferden entfernt, deren Rücken bald arg wund ſind.“)
Die Ausbildung für den Aufklärungsdienſt iſt ganz ungenügend; ſie wird durch den Umſtand erſchwert, daß die wenigſten Kaſaken des Leſens und Schreibens kundig ſind — ſoll doch der Ruſſiſche Soldat zuweilen kaum die Ziffern auf der Leiter des Viſiers ſeines Gewehrs zu leſen vermögen.
Obgleich das Kavallerie-Exerzierreglement auch für die Kaſaken gilt, und die an der Weſtgrenze des Reiches ſtehenden, z. B. die Donſchen Kaſaken, auch in der geſchloſſenen Attacke geübt werden, ſo ſcheitert deren tatſächliche Durchführung an den kleinen langſamen Pferden ſowie deren und der Ka— ſaken Ausrüſtung, die keine Sporen, ſondern die Nagaika führen.
Die den Kaſaken eigentümliche Attackenform iſt die Lava, eine Schwärm— attacke unter Gebrauch des Karabiners.““) Wir haben es jedenfalls bei den Kaſaken mit keiner nach Europäiſchen Begriffen ausgebildeten Reiterei zu tun. Dieſes Urteil fand eine Bekräftigung aus dem Munde des Komman— deurs des Tſchitaer Kaſakenregiments, der einem Militärbevollmächtigten geradezu erklärte, „daß die Kaſaken eines ernſt zu nehmenden militäriſchen Wertes entbehrten“. Dieſe Außerung findet eine gewiſſe Beſtätigung in dem Bericht des Ruſſiſchen Kriegskorreſpondenten Krasznow, ſelbſt Kaſaken— offizier, der ſich insbeſondere über die Transbaikal-Kaſaken ſehr ungünſtig ausläßt. Mindeſtens ein Drittel habe aus jungen, eben erſt eingezogenen Mannſchaften mit ganz übereilter Ausbildung beſtanden.“““) Dies Urteil bezieht ſich auf die Regimenter 1. Aufgebots. Wie mag erſt das Material
) Spaitz, „Mit Kaſaken durch die Mandſchurei“. **) Major v. Tettau erwähnt in feiner Schrift über den Mandſchuriſchen Krieg S. 71 (ſ. Literatur) wohl geſchloſſene Bewegungen der Kaſaken beim Exerzieren, aber keine Attacke. ) Beiheft 54 der „Internationalen Revue über die geſamten Armeen und Flotten“.
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bei den Regimentern 2. und 3. Aufgebots ausgeſehen haben, wo zudem voller Mangel an einigermaßen brauchbaren Offizieren beſtand!
Es muß auch hervorgehoben werden, daß die Eigenart des Ruſſen ſich wenig zum Kavalleriſten ſchickt. Seine heroiſche Tapferkeit in der Verteidi— gung kann die Langſamkeit, Unpünktlichkeit, Energieloſigkeit und den Mangel an Entſchlußkraft nicht ausgleichen, die dem gemeinen Ruſſen eigen- tümlich ſind. .
Der ſchlimmſte Vorwurf, der der Ruſſiſchen Reiterei gemacht worden ißt iſt der, daß ihr neben der militäriſchen Ausbildung der Wille gefehlt habe, ſich aufzuopfern,“) ein Vorwurf, den ihr der Schriftſteller Kuropatkin in ſchärfſter Weiſe ſchon nach dem Ruſſiſch⸗Türkiſchen Kriege von 1877 bis 1878 gemacht hat.““) Nach den erſten Gefechten des Mandſchuriſchen Feldzuges aber beklagt der Oberfeldherr ſich bitter über die Waffe, indem er einen Erlaß vom 15. Auguſt 1904 mit den Worten ſchließt: „Unſere Nachrichten— detachements, wiewohl immer mindeſtens eine Sotnie ſtark, ſind oft von nur 10 Japaniſchen Infanteriſten zurückgetrieben worden. In ſolchen Fällen hatten ſie abzuſitzen und den Feind mit Gewehrfeuer zu vertreiben, und wäre der Geiſt der Kaſaken ein beſſerer, ſo müßten ſie den Feind mit der blanken Waffe angehen.“
Verfolgt man die Ereigniſſe ee Blickes, ſo hat man aber doch den Eindruck, daß hier Kuropatkin zu ſcharf urteilt. Alle Teilnehmer am Feldzuge, die ihre Eindrücke zu Papier gebracht haben, erkennen an, daß der Geiſt der Truppe kein ſchlechter war, die Mängel vielmehr in ihrer Eigen— art zu ſuchen ſind, und daß man unter beſſeren Führern mit ihr mehr hätte erreichen können. Über den moraliſchen und intellektuellen Wert des Ruſſiſchen Offizierkorps ein Urteil zu fällen, iſt für den Angehörigen eines fremden Heeres ſehr ſchwer, und ich hüte mich deſſen. Ich verweiſe ledig— lich auf das ſehr ungünſtige Urteil des Generals Martynow, eines Offiziers, der mit beſonderer Auszeichnung an dem Kriege teilgenommen hat, in ſeiner Schrift: „über die Urſache der Ruſſiſchen Niederlagen.“ |
über die Japaniſche Kavallerie kann ich mich kürzer fallen. In Auf— ſätzen in der Streffleurſchen Zeitſchrift 1906 findet ſich nach „Urteilen und Beobachtungen von Mitkämpfern“ über jene Reiterei folgendes: „Von der Kavallerie ſah man nicht viel. Sie reitet ſchlecht, die Pferde, meiſt wilde Hengſte, ſind nicht geritten. Die Tiere ſind ſehr wenig anſpruchsvoll, wurden aber auch mit wenig Rückſicht behandelt. Die blanke Waffe wurde faſt nie gebraucht, dagegen der Karabiner nicht nur in der Verteidigung, ſondern auch im Angriff.“ Ein Nordamerikaniſcher Offizier, Kapitän Rhodes, der Ge⸗ legenheit hatte, ein Japaniſches Kavallerieregiment — 3 Eskadrons — zu
SW Spalts a. a. O.
) „Kritiſche Rückblicke auf den Ruſſiſch⸗ Türkiſchen Krieg von 1877 1878“. Nach Aufſätzen von Kuropatkin bearbeitet von Krahmer. Baden 1889.
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beſichtigen, berichtet, daß die Exerzierbewegungen mit Ordnung und Ge: ` ſchloſſenheit, aber ausſchließlich im Trabe, ausgeführt wurden. Das Pferde— material war geringwertig, im Fußgefecht zeigten die Leute eine bemerfens- werte Gewandtheit.
Ein großer Vorzug der Japaniſchen Reiter vor den Kaſaken lag in deren höheren Intelligenz und beſſeren allgemeinen Bildung, indem unter ihnen die Kunſt des Leſens und Schreibens ganz allgemein verbreitet iſt. Wie das ganze Japaniſche Heer, ſo hatte auch die Reiterei vom oberſten Führer bis zum letzten Reiter vor den Ruſſen den feſten Willen zu ſiegen voraus und betätigte dieſen. Im ganzen aber hat die Japaniſche Reiterei mehr die Eigenart einer berittenen Infanterie als von Kavallerie.
Aus vorſtehenden Darlegungen dürfte ſich ergeben, daß weder die Ruſſi— ſche auf dem Kriegsſchauplatz erſchienene Reiterei, noch die Japaniſche mit dem Maßſtab gemeſſen werden kann, den wir an eine Europäiſche Kavallerie anlegen.
Dies iſt neben der Eigenart des Kriegsſchauplatzes das zweite Moment, das wir bei Schlüſſen, die wir aus jenen Kriegsereigniſſen ziehen, zu berück— ſichtigen haben.
Was die Stärkeverhältniſſe der beiderſeitigen Reiterei betrifft, ſo haben die Japaner, als ſie ihre höchſte Stärke erreicht hatten, über 66 Eskadrons verfügt, davon 57 Linien-, der Reſt Reſerve- und Landwehr-Eskadrons. Den Armeediviſionen war je ein Regiment von drei Eskadrons zugeteilt, was bei dem Mangel an dieſer Waffe reichlich erſcheint. 16 Eskadrons, ſpäter 20, bildeten zwei ſelbſtändige Brigaden.
Die Ruſſen ſtellten insgeſamt 207 Sotnien Kaſaken und 18 Eskadrons Dragoner ins Feld. Von den Sotnien waren nur 59 1. Aufgebots, 107 2. Aufgebots, 29 3. Aufgebots (Landwehr bzw. Landſturm) und 12 minder⸗ wertige Miliz. Von dieſer außerordentlich hohen Summe von Reitereinheiten ſind aber beträchtliche Zahlen in Abzug zu bringen, die für den Kampf in vorderer Linie nicht zählten, da ſie dauernd zur Sicherung der rückwärtigen Verbindungen, ſo gegen die Chunguſen an der ſehr gefährdeten Bahnlinie, Verwendung fanden. Bei Mukden z. B. hatten die Ruſſen nur 132 Sotnien und 18 Eskadrons, bei den ſpäteren Operationen 168 Sotnien und 18 Eska— drons zur Stelle. Im allgemeinen kann man die Ruſſiſche, zum Gefecht in vorderer Linie verfügbare Reiterei auf die dreifache Stärke der Japaniſchen ſchätzen. Eine dauernde Zuteilung von Kavallerie an die Armeediviſionen war nicht erfolgt, fie wurde erſetzt durch die der Ruſſiſchen Armee eigentüm— lichen Jagdkommandos von 120 Pferden. Nur fallweiſe wurde Kavallerie den Armeediviſionen zugeteilt, ſie war organiſch gegliedert in 6 Kaſaken— diviſionen und 2 ſelbſtändige Brigaden. Es griff aber bei den Ruſſen, wie bei den anderen Waffen ſo auch bei der Kavallerie, ein Durcheinander— wirbeln der Verbände Platz, für das jede vernünftige Erklärung fehlt, ſo
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daß ſchließlich ſtärkere Einheiten mangelten und man zu Improviſa— tionen kam.
Die erdrückende zahlenmäßige Überlegenheit an Kavallerie Se der einen Seite iſt ein weiteres ungewöhnliches Moment in diefem Kriege, durch das es ſich erklärt, daß die Japaner ſehr zurückhaltend im Gebrauch dieſer Waffe waren, die meiſt im engen Verbande ihrer Infanterie ſich bewegte und nie den Ruſſen die Gelegenheit zu einer großen Reiterſchlacht bot.
Für die Beurteilung der reiterlichen Tätigkeit fällt ſchließlich noch die Art der Kriegführung weſentlich ins Gewicht, die wir in der Mandſchurei geübt ſehen, indem während der wochenlangen Pauſen in den Operationen beide Gegner meiſt in ziemlich naher Fühlung ſich derart ein⸗ gruben, daß ihre Sichtbarkeit ſtark vermindert wurde, Angriffe auf dieſe Stellungen durch Kavallerie ausgeſchloſſen waren und Erkundungen nur gewaltſam ausgeführt werden konnten. Es kam dann zu Poſitionsſchlachten von mehrtägiger Dauer, wie man ſolche bisher nicht gekannt hat, Vorgänge, die bei einer beweglicheren Kriegführung, wie wir fie auf einem Euro- päiſchen Kriegsſchauplatz ſchon aus politiſchen Gründen annehmen dürfen, kaum wieder zu erwarten ſein möchten.
Für die Eigenart der ſich gegenüberſtehenden Kavallerien charakteriſtiſch war deren Verhalten bei dem erſten Zuſammenſtoß im Gefecht bei Tſchöndſchu am 28. März 1904.“) General Miſchtſchenko hatte beim Kriegsbeginn den Befehl erhalten, mit einer kombinierten Kavallerie— brigade von 18 Sotnien und 6 Geſchützen vorwärts des Oſtdetachements (Avantgarde), das die Jalumündung beſetzt hatte, zur Aufklärung in Nord⸗ korea vorzugehen. Da die nach der Landung vorrückenden Japaner indeſſen mit vorgeſandten Detachements und Sicherungstruppen alle Annäherungs— linien und Ausſichtspunkte abſperrten, was bei dem gebirgigen Charakter des Landes leicht möglich war, ſo vermochten die Ruſſen immer nur einen Einblick auf die vorderen Spitzen zu gewinnen. Überall wurden ſie zurück— gedrängt, und zwar durch Infanteriepoſtierungen, da die Japaniſche Kaval⸗ lerie Gefechten auswich.
Infolge dieſer Verhältniſſe entſchloß ſich Miſchtſchenko ſchließlich Nr einer gewaltſamen Erkundung gegen Andſchu am Velim, um feſtzuſtellen, welche Kräfte die Japaner bereits über den Fluß geſetzt hätten.
Von ſeinen Truppen hatte der Ruſſiſche Führer für dieſen Zweck nur noch 6 Sotnien verfügbar, die übrigen waren zerſplittert. Zwei Sotnien waren zur Beobachtung der Japaner vorgeſchoben, hatten aber mit dieſen keine Fühlung. Ohne weitere Patrouillen abzuſenden, rückte Miſchtſchenko, 2 Sotnien in der Vorhut, am 28. März ſpät aufbrechend, von Kuakſan ab
) S. Skizze 1.
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und erreichte um 11 Uhr die Stadt Tſchöndſchu. Die Japaniſche Beſatzung von einer Kompagnie und einer Eskadron eröffnete unvermutet von der Stadtmauer ein heftiges Feuer auf die Avantgardeſotnien, die auf einer Höhe 600 m vom Ort abſaßen und ebenfalls ein Feuergefecht begannen. Miſchtſchenko ließ ſich durch dieſe kleine Beſatzung vor dem Orte feſthalten und entwickelte drei weitere Sotnien zum Feuergefecht, eine Sotnie als Reſerve zu Pferde zurückhaltend.
Als jene Sotnien vorrückten, erſchien das Japaniſche Garde-Kavallerie— regiment, entwickelte zwei Eskadrons zum Feuergefecht und ſandte ſeine dritte Eskadron zum Angriff zu Pferde gegen den linken Ruſſiſchen Flügel. Dieſe Eskadron kehrte um, als ſie in das Feuer der abgeſeſſenen Sotnien geriet. Ein aus Kaſan im Laufſchritt heraneilendes Japaniſches Bataillon entſchied dann das Gefecht zuungunſten der Ruſſen, die gegen Widſchu und am 2. April über den Jalu zurückgingen, ohne daß ihnen gelungen wäre, die Lage zu klären.
Die Ruſſen wollten überraſchen und wurden ſelbſt überraſcht, was einer— ſeits an der mangelhaften Tätigkeit ihrer vorgeſchobenen Sotnien lag, die anſcheinend ſeitwärts ausgewichen waren, anderſeits an dem Fehlen von Patrouillen vor die Spitze und dem ſpäten Aufbruch, welchen Fehler die Ruſſen wiederholt begingen. Der eigentliche Zweck der Unternehmung aber trat völlig in den Hintergrund, als der Führer ſich mit der geſamten Ab— teilung vor Tſchöndſchu feſſeln ließ, ohne die Aufklärung fortzuſetzen. Zum Kampfe mit der blanken Waffe zeigte ſich auf beiden Seiten keine Neigung.
Es folgte die Schlacht am Jalu, die die Japaner bekanntlich dadurch zu ihren Gunſten entſchieden, daß ſie in der Nacht vom 30. April zum 1. Mai gegenüber dem Ruſſiſchen linken Flügel den Fluß überſchritten. Der Über— gang war nicht gemeldet worden, obgleich ſich drei Sotnien Uſſuri-Kaſaken da— ſelbſt befanden. Dieſe waren nach Norden ausgewichen, und die Ruſſen er— kannten erſt, daß ſie umgangen waren, als ſie am nächſten Tage das Rattern der Geſchütze und Fahrzeuge hörten. Nach der Schlacht rückte das Oſtdetache— ment, 24 Bataillone, 22 Sotnien, 40 Geſchütze, in nördlicher Richtung über Fönhuandſchön nach Lianſchakwan ab, um den Japanern den direkten Weg nach Liaoyan zu verlegen. Mitte Mai übernahm General Graf Keller den Befehl.
Das Oſtdetachenient ſicherte einen Raum von 90 km Breite. Auf dem rechten Flügel befand ſich, vorgeſchoben, die Kaſakenbrigade Miſchtſchenko, am linken Flügel in Saimatſi zur Sicherung der über dieſen Ort direkt nach Mukden vom Jalu führenden Straße ſtand General Rennenkampf mit einer Brigade ſeiner Diviſion, die, wie üblich, zerſplittert war, der zu— ſammengeſetzten Brigade des Oberſt Kartſew, einem Schützenregiment und 14 Geſchützen.
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Er hatte die Aufgabe, „unter fteter Feſthaltung von Saimatſi die Stärke der bei Fönhuandſchön ſtehenden und der über Kuandjanſian vorrückenden Japaniſchen Kräfte zu erkunden, die linke Flanke des auf Lianſchakwan zurückbefohlenen Oſtdetachements zu ſichern und einen feindlichen Vormarſch auf Mukden zu verzögern“.
Aus der Geländeſchilderung, die den Vortrag eingeleitet hat, iſt zu ent, nehmen, daß das Terrain, das hier für die Operation in Frage kam, für Kavallerie äußerſt ungünſtig iſt, indem die Aufklärung auf die vorhandenen Naturwege beſchränkt iſt, das Gefecht zu Pferde ausgeſchloſſen ſcheint.
Der Feind war mit ſehr ſtarken Kräften in Fönhuandſchön (Erſte Sonn, niſche Armee) und einer Abteilung gleichfalls aller drei Waffen (Japaniſche Garde⸗Landwehrbrigade) in Kuandjanſian gemeldet. Rennenkampf be⸗ ſchloß am 9. Mai eine Erkundung gegen letzteren Ort mit 1 Bataillon, 10 Sotnien, 8 Geſchützen zu unternehmen und mit dem Reſt des Detache- ments Saimatſi beſetzt zu halten. Die gleichzeitige Aufklärung gegen Fön⸗ huandſchön wurde anſcheinend nicht angeordnet.
Nach zwei ſehr anſtrengenden Märſchen, die in Rückſicht darauf, daß man drei Sotnien auf etwa 29 km vorwärts disloziert hatte, ohne jede weitere Sicherung ausgeführt wurden, erreichte Rennenkampf am 10. mit nur noch ſechs Sotnien das unbeſetzte Kuandjanſian, aus dem einer Meldung gemäß eben 400 feindliche Infanteriſten abgerückt waren. Der Reſt des Detachements war teils infolge von übermüdung, teils zur Sicherung der rückwärtigen Verbindungen an verſchiedenen Punkten der Etappenſtraße zurückgelaſſen worden. Da der Marſch ohne Rückſicht auf die Schnelligkeit der einzelnen Waffen ausgeführt wurde, war die Abteilung ganz ausein— andergeriſſen. Von den noch verfügbaren ſechs Sotnien wurden drei zur Aufklärung vorgeſchickt, und drei Sotnien waren ſchließlich alles, was der Führer von ſeinem Kommando noch in der Hand behielt. Am Nachmittage griff ein Bataillon Japaniſcher Infanterie Kuandjanſian ziemlich über— raſchend an. Die Kaſaken nahmen auf 1400 m das Feuergefecht auf, das ſie abbrachen, ſobald die drei Aufklärungseskadrons, die ſich nicht weit entfernt hatten, den Anſchluß erreichten. Darauf trat man den Rückzug an, 2 Kaſaken, 2 Pferde waren verwundet, das Ergebnis der Erkundung war gleich Null, man hatte nicht einmal feſtgeſtellt, ob dem angreifenden Bataillon noch weitere Kräfte folgten, jede Aufklärung während des Gefechts ſcheint unterblieben zu ſein. |
Am Tage des Gefechts erhielt Rennenkampf von Saimatſi die Mel- dung von dem Vorrücken ſtärkerer feindlicher Infanterieabteilungen aus der Richtung von Fönhuandſchön und ſandte darauf das unterwegs ver— bliebene Bataillon und andere Kräfte nach Saimatſi zurück.
Jene nur von Chineſen herrührende Meldung war falſch geweſen. Als
Rennenkampf am 12. in Saimatſi wieder eintraf, erhielt er gleichfalls von 2 *
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Chineſiſchen Spionen eine ähnliche Meldung, die lediglich auf der Tatſache beruhte, daß ein Japaniſches Kavallerieregiment, in mehrere Abteilungen aufgelöſt, die von Fönhuandſchön nach Norden führenden Wege erkundet hatte. Der General entſendet darauf eine Erkundung an jenen Ort und betraut damit eine Abteilung von ſechs Sotnien, von denen drei alsbald zum Oſtdetachement abgezweigt werden. Der Reſt der Abteilung hat eben nur loſe mit feindlicher Infanterie Fühlung genommen, als der Führer den Rückmarſch auf Saimatſi antritt. Auf dieſem trifft ihn ein Befehl Rennen— kampfs zum erneuten Vorgehen im Tſauhotale, während der General ſelbſt im Badoatale mit 5 Sotnien und zwei Geſchützen vorrücken werde.
Als nun feindliche Infanterie feſtgeſtellt wird, beordert der General die Seitenkolonne zu ſich heran und beſchließt den Angriff. Die Vormarſch— ſtraße war eine enge Talſohle, das Gelände das denkbar ungünſtigſte. Nach mühſeligem Erſteigen eines hohen Bergrückens wird das Feuergefecht gegen zwei Kompagnien begonnen, die, langſam Salven abgebend, vor den Ruſſen allmählich von einer Stellung nach der andern zurückgehen. Schließlich verſtummt das Feuer, die Ruſſen, die nur 7 Mann, 8 Pferde verwundet haben, folgen den Japanern nicht, die, anſcheinend ein Hauptpoſten, auf ihre Unterſtützung zurückgehen. Rennenkampf tritt in dem Augenblick den Rückmarſch an, wo er durch ein Nachrücken einen Einblick in ſtärkere Kräfte hätte gewinnen können. Tatſächlich war durch das Unternehmen nichts erreicht als die Beſtätigung der ſchon bekannten Tatſache von der Anweſenheit einer Infanteriepoſtierung an der Marſchſtraße.
Intereſſant iſt, daß Rennenkampf nach den unbefriedigenden Ergeb— niſſen der Erkundung es Ende Mai mit ſelbſtändigen Offizierpatrouillen — 2 Offizieren, 9 Kaſaken, 1 Chineſiſchen Führer — verſuchte. Bei der großen Aufmerkſamkeit der Japaner, deren dichtem Poſtennetz und dem ſchwierigen Gelände wurden Ergebniſſe nicht erzielt, obgleich die Patrouillen nach Zurücklaſſung der Pferde im feindlichen Bereich zu Fuß ſich durchzuſchleichen verſuchten. Überall durch Feuer zurückgewieſen, ſahen ſie ſelbſt nichts und brachten nur Chineſenmeldungen zurück. Bei ſpäteren derartigen Ver— ſuchen ſind die zu Fuß vorgehenden Patrouillen, denen es gelungen war, durch die Vorpoſten zu gelangen, regelmäßig. gefallen oder in Gefangenſchaft geraten.
Am 22. Mai unternahm Rennenkampf mit 9 Sotnien eine neue Er— kundung, diesmal von Aijanjamön im Aihotale aus direkt gegen die Flanke der Japaniſchen Armee. — Wiederum bildete er eine Seitenkolonne rechts und wiederum fehlten Patrouillen vor den Kolonnen. Dieſe ſicherten ſich nur durch Vorhutſotnien, von denen die eine die Lava bildete. — Als die Abteilung Dapu erreicht hatte, wurde ſie von den ſeitlichen Hängen aus von Infanterie, die ſich auf drei Kompagnien verſtärkte, durch Feuer überfallen und trat nach dem Verluſt von 1 Offizier, 7 Kaſaken nach einem ebenſo un—
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befriedigenden Ergebnis wie bei den früheren Unternehmungen den Rück⸗ marſch bis Schitutſchön an.
Am 25. Mai ſchreitet der unermüdliche General weiter zu einer Er- fundung, und zwar auf Kuandjanſian, weil nach Chineſenmeldungen die dortige Japaniſche Kraftgruppe ſich bedeutend verſtärkt haben ſollte. Mit acht Sotnien — die neunte hatte die Verwundeten zurückgebracht — rückt Rennenkampf über Ortauho nach Schauko. Erſt bei der Raſt an dem vor⸗ liegenden Paß wurden Patrouillen entſendet und in Schauko in der Dunkel⸗ heit ein Lager bezogen, nur auf wenige hundert Schritte durch zwei vorge⸗ ſchobene Sotnien geſichert. Ein Chineſe meldet die Anweſenheit von 300 Japanern in einer Geländefalte; eine Patrouille wird entſendet, ſchon wenige Minuten ſpäter eröffnen die Japaner das Feuer auf die Lagerplätze. Eilig, ohne Patrouillen am Feinde zu laſſen, wird der nächtliche Rückzug an⸗ getreten. Verluſt: 1 Offizier, 2 Kaſaken verwundet.
In Aijanjamön machte Rennenkampf Halt. — Hier wurde er am 28. Mai wiederum ziemlich unvermutet von 3 Bataillonen, 1 Eskadron und 6 Gebirgsgeſchützen der Japaniſchen Garde-Landwehr-Brigade angegriffen und ging nach Verluſt von 2 Offizieren, 7 Kaſaken an Verwundeten auf Saimatſi zurück.
Der General räumte darauf dieſen Ort am 29. auf eine Chineſen⸗ meldung vom Anrücken der Japaner hin und zog ſich nach den nordöſtlichen Päſſen zurück, um dieſe zu ſperren. — Die Japaner hatten Saimatſi nur mit Patrouillen betreten, dem Kommando des Oſtdetachements wurde in⸗ deſſen die Meldung von der Beſetzung des Ortes durch 3000 Japaner ge⸗ macht, worauf General Graf Keller deſſen Wiedereinnahme befahl. — Bevor es dazu kam, wurde die Kaſakenbrigade Ljubawin am öſtlichen Fönſchuilinpaß von nur 50 Japaniſchen Landwehrleuten überfallen und erlitt einen Verluſt von 2 Offizieren, 27 Mann, 63 Pferden.
Am 2. Juni wurde Saimatſi, das vom Feinde frei war, wieder beſetzt. Abends traf auch noch infolge jener unrichtigen Meldung eine ſtarke Kolonne des Oſtdetachements unter Graf Keller nach einem Gewaltmarſch daſelbſt ein. Am nächſten Tage kehrten dieſe Truppen nach der zweckloſen Anſtrengung wieder nach Lianſchakwan zurück, und General Rennenkampf übernahm in Saimatſi den Befehl über ſein wiedervereintes Detachement.
Wir verlaſſen ihn nun. Die ſo wenig erfolgreiche Aufklärungstätigkeit des Detachements Rennenkampf hatte für die Truppen dennoch aufreibende Anſtrengungen gebracht.“) Mängel in der Führung wie in der Ausbildung der Truppen waren dabei zutage getreten.
General Rennenkampf gilt neben dem General Miſchtſchenko als der bedeutendſte Kavallerieführer der Ruſſen in dieſem Feldzuge, wir müſſen
0 Die Sotnien waren ſtark eee ee die meiſten Pferde hatten wunde Rücken. (Tettau a. a. O.)
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auch die ſehr lebhafte Tätigkeit anerkennen, die er in der geſchilderten Periode ausübte. Dennoch beurteilt ihn General Kuropatkin in ſeinem Werke über den Mandſchuriſchen Krieg recht abfällig. Über ſein Verhalten in der Schlacht am Schaho z. B., wo Rennenkampf, wie wir noch ſehen werden, ein Detachement von 13 Bataillonen, 16 Sotnien, 30 Geſchützen führte, ſagt er: „Die Taktik des Generals v. Rennenkampf war in jeder Hinſicht kläglich. Weder Sachkenntnis noch Geſchick, noch Feſtigkeit war in ihr zu finden. Ich habe auch keine perſönliche Initiative bei General Rennenkampf bemerkt uſw. Seine Infanterie war zerſplittert, ſeine Truppen geteilt.“
Wenn das Verhalten des Generals in der Periode, die ich eben ge— ſchildert habe, zu einem ſo harten Urteil kaum berechtigt, ſo tritt doch auch hier die Zerſplitterung der Truppen ſtark hervor, und recht häufig hat man den Eindruck, daß nach der erſten Berührung mit dem Feinde nicht die volle Energie eingeſetzt wurde, daß der Wille zu ſiegen nicht ſtark genug war. Die Opfer waren auch, beſonders wenn wir die Verluſte durch die erlittenen Überfälle abrechnen, ſehr gering.
Das Werkzeug, über das der General verfügte, war indeſſen — den Ein— druck gewinnt man aus den Operationen — auch recht minderwertig.
Weder die unteren Führer noch die Kaſaken waren mit den elementarſten Anforderungen der Sicherung und Aufklärung vertraut. Die Folgen waren die wiederholten Überfälle, die man erlitt, und die Tatſache, daß man für die Nachrichten über den Feind faſt nur auf Chineſenmeldungen angewieſen blieb. Um gerecht im Urteil zu bleiben, muß man aber auch die außerordentlichen Schwierigkeiten in Rückſicht ziehen, die den Kaſaken das Gelände bot. Solche zu überwinden, waren dieſe an ſich geeigneter als im allgemeinen Europäiſche Kavallerie, auch war ihnen der ſchnelle (Uber, gang und die Führung des Fußgefechts wohl vertrauter als jener. Die Aufgabe erforderte neben großer Gewandtheit im Überwinden ſchwierigſten Geländes, neben der Freude am Gebrauch der blanken Waffe, die den Kaſaken nicht eigen war, auch Übung im Feuergefecht im offenſiven Geiſte, und wäre, das wollen wir uns nicht verhehlen, auch für eine Europäiſche Kavallerie ſchwer zu löſen geweſen.
Daß Kuropatkin mit den Ergebniſſen der Erkundung nicht zufrieden ſein konnte, iſt erklärlich.
Unter Verhältniſſen, wie die hier vorliegenden, konnte die Kavallerie nur hoffen, Nachrichten zu bringen, wenn ſie den Gegner dauernd durch vor— geſchobene Poſten beobachtete und ſich jeder ſeiner Bewegungen ſofort anhing. Rennenkampf aber gab die Fühlung, wenn er ſie gewonnen hatte, jedesmal wieder auf. Ein gewaltſames Durchbrechen der gegneriſchen Vorpoſten gelang nie, in einigen Fällen anſcheinend weil das Gefecht nicht mit der erforderlichen Energie geführt wurde. Die Aufgabe aber war zuweilen
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eine jo ſchwere, daß man billig zweifeln muß, ob ihr moderne Kavallerie in dieſem Gelände ohne Unterſtützung durch Infanterie gewachſen ſein würde, denn ich glaube, wir müſſen doch daran feſthalten, daß von der Kavallerie ein ſo zähes Ringen im Feuerkampfe wie von der Infanterie ſchon mit Rückſicht auf die Handpferde, die eine ſtete Sorge bleiben, nicht zu erwarten iſt. Die Beigabe von Maſchinengewehren würde natürlich einen erheblichen Kräftezuſchuß bedeuten und könnte unter Umſtänden entſcheidend ſein. Im allgemeinen aber meine ich, daß in einem Lande von ſo ausgeſprochenem Gebirgscharakter nur das Heranfühlen an den Feind Sache der Kavallerie iſt, der zur Durchführung des unvermeidlichen Erkundungsgefechts In⸗ fanterie nahe zu folgen hat.
Dies Verfahren ſchlugen mit Erfolg die Japaner ein. Bei den Ruſſen ruhte während des Gefechts die Aufklärung gänzlich, man verkannte ſo völlig den Zweck des Kampfes. Die Verſuche des Durchſchleichens durch die Vorpoſten mißglückten, wie ſchon angeführt, regelmäßig; von ſolchen dürfte im allgemeinen ein Erfolg nur zu erwarten ſein, wenn ſie während eines Gefechtes unternommen werden, das die ne des e ablenkt.
Angriffe zu Pferde find in dieſem Feldzuge äußerſt ſelten vor— gekommen, ſolche von der Kavallerie gegen die anderen Waffen nur als Scharmützel oder als bald aufgegebene Verſuche. Sie bieten, in den Einzel⸗ heiten wenig bekannt, kein taktiſches Intereſſe. Die Gründe ihres Aus⸗ bleibens wurden bereits hervorgehoben. Von gegenſeitigen Angriffen der Reitereien zu Pferde iſt nur der Verlauf eines Gefechts näher bekannt ge— worden, deſſen Schilderung daher verſucht werden ſoll. |
Als die Stellung an der Kintſchou-Bucht vor Port Arthur am 26. Mai 1904 der Beſatzung dieſer Feſtung durch die Japaner entriſſen wurde und das Korps Stakelberg im Vorrücken auf Port Arthur begriffen war, erhielt die 1. Japaniſche Kavalleriebrigade Akijama, verſtärkt durch zwei Ma- ſchinengewehre und zwei Bataillone Infanterie, den Auftrag, „am 30. Mai von nördlich Pulantien aus im allgemeinen längs der Bahnlinie gegen Kaitſchou vorzugehen und Einblick in die Verhältniſſe des Gegners zu ge— winnen“.
Die Brigade erreichte am Vormittag Tſchuſiatun, wo der Führer die Nachricht erhielt, daß Judſiatun von ſchwachen Ruſſiſchen Kräften be⸗ ſetzt ſei.
Den Japanern gegenüber befand ſich die zuſammengeſetzte Brigade des Generalmajors Samſonow beſtehend aus 5 Eskadrons des Primoräfi- Dragonerregiments, *) 5 Sotnien des 8. Sibiriſchen Kafafen- Regiments,
*) Das einzige z. Zt. auf dem Kriegsſchauplatz befindliche Kavallerieregiment.
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1 Grenzwacht⸗Sotnie, 1 Jagdkommando von 60 Reitern, 1 Kaſaken-Batterie, dazu 1½ Sotnien und 1 Kompagnie Grenzſchutzwacht.“) Die Brigade hatte den Auftrag, „die (von den Ruſſen voreilig) geräumte Bahnlinie wieder zu beſetzen und für den erwarteten Transport des 1. SEN Korps zu ſichern“.
Am 29. Mai hatte die Ruſſiſch Brigade Wantſialin erreicht und auf den Hauptwegen Dragonerpatrouillen vorgeſchoben. Am 30. war Wafangoun das Ziel ſowohl der Ruſſiſchen wie der Japaniſchen Brigade.““) Als die erſtere ſich dem Orte näherte und, ein Gefecht nicht erwartend, ſchon 40 Dragoner als Quartiermacher entſendet hatte, bekam der Führer die Meldung, daß die noch dort zur Brückenbeſetzung befindliche Kompagnie Grenzſchutzwache ſüdlich des Ortes im Kampfe mit überlegenen Kräften ſtehe. Samſonow ſandte ſogleich die drei nächſten Dragonereskadrons zur Unterſtützung der Kämpfenden vor. Sie ſaßen zum Feuergefecht auf den Höhen vor Judſiatun ab. Als der mitvorgerittene General erkannt hatte, daß die Kompagnie der Grenzſchutzwache, an die ſich die Quartiermacher an— geſchloſſen hatten, in dem Orte ſelbſt kämpfte, ſandte er die Grenzwachſotnie und das Jagdkommando längs des rechten Futſchuufers auf die beherr— ſchenden Höhen weſtlich des Ortes, um von dort die Japaner in der linken Flanke anzugreifen. Die Batterie fuhr in der Front auf, bei ihr hielten der Reſt der Reiterei, 2 Dragonereskadrons und 2 Sotnien. Als gegen 1“ nachmittags die Grenzſchutzwache Judſiatun räumte und Japaniſche Infan— terie folgte, befahl der Ruſſiſche Führer den Angriff von zwei Kaſakenſotnien unter Oberſtleutnant Zeltuſchin. Bevor dieſe einſchreiten konnten, hatte indeſſen die Grenzſchutzwache bereits die Feuerlinie der Dragoner er— reicht und ſich dieſen angeſchloſſen, nur das Quartiermacherkommando war noch zurück und wurde von einer Japaniſchen Eskadron hart bedrängt. Da erſchienen in gleicher Höhe die Sotnien des Oberſtleutnants Zeltuſchin. Der Führer ließ die Lava bilden, und beide Teile gingen zur Attacke über, die bei der beiderſeitigen Überrafhung nur bis zum Trabe durchgeführt wurde. Die Japaniſche Eskadron wurde von der Übermacht geworfen, wobei die Lanzen der Kaſaken ſich gut bewährt haben ſollen. Die Ver— folgung endete am Dorfe Judſiatun unter dem Feuer der Japaniſchen In— fanterie und einiger Maſchinengewehre.
Seine Eskadron zu entlaſten, führte der Japauiſche Regiments— kommandeur den Reſt des Regiments zum Angriff gegen die heran— ſtürmenden Kaſaken vor, mit 2 Eskadrons in erſter Linie, eine dritte Staffel war links gebildet. Der Angriff mißlang, da die Reiter in das Feuer des eben in der Flanke erſcheinenden Jagdkommandos und der Grenzwachſotnie
*) Die Grenzſchutzwache war als Bahnbeſatzung noch nach der Räumung von Wafangou zurückgeblieben. **, S. Skizze 2. Nach Asiatiens „Die Aufklärung im Ruſſiſch-Japaniſchen Kriege“.
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gerieten. General Samſonow hatte den Reſt jeiner Reiter, mit Ausnahme von zwei Sotnien Geſchützbedeckung, auf ſeinen linken, von feindlicher In⸗ ſanterie bedrohten Flügel entſendet.
Judſiatun blieb in den Händen der Japaner. Deren Verluſte, 4 Offi- ziere 58 Mann, gegen 2 Offiziere 35 Mann der Ruſſen, erſcheinen hoch, be- ſonders wenn man das Verhältnis der Toten, 1 Offizier 25 Mann bei den Japanern, gegen 3 Mann bei den Ruſſen, in Betracht zieht. Es wäre von Intereſſe zu erfahren, ob dieſer hohe Prozentſatz beſonders an Toten auf die Wirkung der Lanze zurückzuführen iſt.“)
Skizze 2.
Batterie u. Reserve
>-\--- * 2) J. Moment Ace x
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Das Gefecht iſt von beiden Seiten nicht ohne Geſchick geführt worden und zeigt, daß die Japaner doch auch den Angriff zu Pferde gegen die Ruſſen gewagt haben. Zu taktiſchen Folgerungen bietet es indeſſen keine Ge— legenheit. Der Japaniſche Führer hat augenſcheinlich nur eine Erkundung, insbeſondere Einblick in das Futſchoutal, aber keinen nachdrücklichen Kampf beabſichtigt, da er die Hälfte ſeiner Reiter nicht ins Gefecht führte. Es gelang ihm, den Gegner zur Entwicklung zu zwingen und damit den Zweck der Erkundung zu erreichen. Den Ruſſen aber mußte daran liegen, die Bahn in Beſitz zu bekommen, alſo die Japaner zu vertreiben. Wenn dies nicht gelang, ſo hat die Urſache anſcheinend in dem weiten Zurückhalten der
*) Das 8. Sibiriſche Kaſakenregiment führte Lanzen.
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Artillerie (3 km hinter der Gefechtslinie) gelegen, in einer Stellung, aus der ſie bei den Angriffen der Japaniſchen Infanterie auf Judſiatun keine Wirkung hatte.
Während der nächſten Zeit bis zum Gefecht bei Wafangou am 15. Juni haben die beiden Kavalleriekörper eine große Rührigkeit entfaltet und lieferten ſich wiederholt Scharmützel mit wechſelndem Erfolg.
In dieſem Gefecht iſt die Energie und Umſicht bemerkenswert, mit der die Japaniſche Brigade Akijama geführt wurde. Sie war dem Oſtflügel zugeteilt und operierte umfaſſend gegen den linken Ruſſiſchen Flügel. Dem Geſchützfeuer nacheilend, traf Akijama am äußerſten Japaniſchen Flügel das 3. Japaniſche Kavallerieregiment im ſchweren Kampf gegen eine Ab— teilung von drei Bataillonen und einer Batterie, die den Auftrag hatte, in die rechte Japaniſche Flanke vorzuſtoßen. Akijama ließ ſeine acht Eska— drons, mit denen er überraſchend auftrat, zum Fenergefecht abſitzen und ging mit Unterſtützung ſeiner Maſchinengewehre ſo energiſch zum Angriff über, daß es ihm gelang, die Ruſſiſche Offenſive zum Stehen zu bringen. Intereſſant iſt, daß bei dem Entſchluſſe der Ruſſen das weitere Vorgehen einzuſtellen, die Meinung mitgewirkt haben ſoll, Infanterie gegenüber zu haben, was bei der ſehr gleichartigen Bekleidung beider Waffen wohl erklärlich iſt. Sehr oft ſind aus jenem Grunde auch ſtärkere Ruſſiſche Erkundungsabteilungen vor ſchwachen Japaniſchen Eskadrons zurückge— wichen, die ſie hinter den Lehmmauern der Dörfer mit Gewehrfeuer empfingen.
Die Offenſive vermochte Akijama bei Wafangou nicht fortzuſetzen, dazu war die Gewehrzahl der Brigade zu ſchwach, ſein Erfolg war aber für den allgemeinen Verlauf des Gefechts von entſcheidender Bedeutung und das Verhalten der Japaniſchen Reiter muſterhaft den Verhältniſſen angepaßt.
Ganz anders die zuſammengeſetzte Kaſakendiviſion Simonow, beſtehend aus der 2. Brigade der Sibiriſchen Kaſakendiviſion (11 Sotnien), dem Pri— morski⸗Dragonerregiment (6 Eskadrons), 2 Kompagnien und 2 Sotnien Grenzwache ſowie 2 Batterien. Die Diviſion operierte am Weſtflügel, wo die Japaner durch Umfaſſen das Gefecht zu ihren Gunſten entſchieden. Nicht allein, daß General Stakelberg in Wafangou die um 6“ vormittags aus Lunkoo (in Luftlinie 7 km weſtlich gelegen) abgeſchickte Meldung von dem Vorrücken der 4. Japaniſchen Diviſion gegen die Ruſſiſche Flanke erſt um 11° erhielt, tat Simonow jo gut wie nichts, um das Vorrücken der Japaner aufzuhalten. Während General Stakelberg erwartet hatte, die Diviſion werde ſich auf den Höhen von Lunkoo zum Feuergefecht zur Deckung ſeiner rechten Flanke entwickeln, ging dieſe bereits um 10° vor dem Gegner zurück, und zwar ſich teilend, mit einem Teil in nordweſtlicher Richtung, mit dem Gros, den Weiſungen Stakelbergs entgegen, auf Wafangou.
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Als bezeichnend für die Leiſtungen und die Verwendung der Kavallerie in der rangierten Schlacht betrachten wir nun die Ereigniſſe am Schaho im Oktober 1904.“) Die Ruſſiſche Armee beſtand aus:
Oſtabteilung: 73 Bataillonen, 32 Maſchinengewehren, 34 Eska⸗ drons und Sotnien, 164 Geſchützen, 3 Sappeurbataillonen. Selbſtändig war nur die Sibiriſche Kaſakendiviſion mit 15 Sotnien und 6 Geſchützen.
Weſtabteilung: 64 Bataillonen, 40 Eskadrons und Sotnien, 190 Geſchützen, 2 Sappeurbataillonen. Selbſtändig ohne ſonſtigen Verband: 11. und 12. Kaſakenregiment, je 6 Sotnien, die Ural-Kaſakenbrigade, 10 Sotnien, 6 Geſchütze. |
Sicherung der rechten Flanke: Abteilung des Generalleut- nants v. Dembowski, 12 Bataillone, 16 Sotnien, 32 Geſchütze, 2 techniſche Bataillone. Selbſtändig die Kaukaſiſche Reiterbrigade, 12 Sotnien.
Sicherung der äußerſten rechten Flanke: Abteilung des Generalmajors Koſſogowski, 6½ Bataillone, 9 Sotnien, 16 Geſchütze.
Sicherung der linken Flanke: Abteilung des Generalleut- nants Rennenkampf, 13 Bataillone, 16 Sotnien, 30 Geſchütze. Selbſtändig war die halbe Transbaikal⸗Kaſakendiviſion des Generalmajors Ljubawin, 16 Sotnien, 4 Geſchütze, 1 Sappeurkompagnie.
Sicherung der äußerſten linken Flanke: Abteilung des Oberſt Madritow, 1 Bataillon, 2 berittene Kommandos, 2 Sotnien, 2 Geſchütze. | | |
Allgemeine Reserve: 56 Bataillone, 20 Sotnien, 230 Geſchütze, 2 Sappeurbataillone. Selbſtändig war die Transbaikal-Kaſakenbrigade Miſchtſchenko, 11 Sotnien, 8 Geſchütze.
Sicherung des Rückens: Das 6. Sibiriſche Korps mit 32 Ba⸗ taillonen, 6 Sotnien, 96 Geſchützen, 1 techniſchen Bataillon.
Die Geſamtſtreitkräfte der Ruſſen betrugen demnach 257½ Bataillone, 32 Maſchinengewehre, 143 Eskadrons und Sotnien, 760 Geſchütze, 10 tech— niſche Bataillone — rund 200 000 Gewehre und Säbel.
Die allgemeine Aufgabe für die Armee ging dahin, „den Feind in ſeiner befeſtigten Stellung anzugreifen und das rechte Taitſihoufer zu nehmen“. Für die Weſtabteilung wurde nur befohlen, nach zwei Marſchtagen eine Linie etwa 40 km ſüdlich Mukden zu erreichen und ſich dort zu befeſtigen. Die Oſtabteilung ſollte ſich in einem Raume etwa 45 km ſüdöſtlich Mukden vereinigen, den Feind in Front und rechter Flanke angreifen, beſonders deſſen Stellung bei Bianyupuſa nehmen. Die Flankenſicherung Dembowski ſollte ſich am rechten Hunhoufer dicht ſüdlich Mukden ſammeln, bis Tſchantan vorrücken und die dortige Brücke ſichern. General Koſſogowski hatte die Sicherung bis an den Liaoho und ſollte in üÜbereinſtimmung mit Dem—
*) S. Skizze 8.
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bowski handeln. General Rennenkampf, der die linke Flanke ſicherte, ſollte gegen den Talinpaß und den oberen Taitſiho vorgehen. Oberſt Ma- dritow operierte in Richtung Saimatſi und ſollte mit Rennenkampf in Ber- bindung bleiben.
Alle dieſe Maßnahmen, die in der Geſamtheit einen ſtark ſchematiſchen Eindruck machen, ſollten im weiteren durch Befehle erledigt werden. Ein Auftragverfahren griff nicht Platz. Daß die Unfreiheit und Gebundenheit, die die Ruſſiſche Gefechtsleitung überall gekennzeichnet hat, die Entfaltung reiterlichen Geiſtes höchſt ungünſtig beeinfluſſen mußte, liegt auf der Hand.
Der Grundgedanke der Ruſſen bei ihrer Operation ging dahin, mit ihrem linken Flügel im Gebirge die dortigen verhältnismäßig ſchwachen Kräfte des Gegners zurückzuwerfen und dann gemeinſam mit dem bis dahin zurückgehaltenen rechten Flügel die Japaniſche Hauptſtellung bei den Kohlengruben von Jantai umfaſſend anzugreifen. Die hinter der Mitte zurückgehaltenen Reſerven ſollten im gegebenen Augenblick die Angriffs- front ſchließen, bzw. nach Bedarf den einen oder den anderen Flügel ver— ſtärken. .
Die Kavallerie war vollſtändig verzettelt. Trotz der erheblichen Stärke von 143 Eskadrons und Sotnien zählte der ſtärkſte unter einheitlichen Be⸗ fehl geſtellte Verband, die halbe Transbaikal⸗Kaſakendiviſion unter Ljuba⸗ win, mit dem Detachement Rennenkampf zur Sicherung der linken Flanke beſtimmt, nur 16 ſolcher Einheiten mit vier Geſchützen. Dazu kam, wie es bei den Ruſſen üblich war, vielfach eine Zerreißung der Verbände und die Improviſierung neuer.
Wenn Kuropatkin nicht mit ſeinem rechten Flügel offenſiv wurde, wo die Ebene ihm einen überlegenen Gebrauch ſeiner Kavallerie geſtattet hätte, ſondern dem linken dieſe Aufgabe übertrug, ſo ſcheinen die Stärke— verhältniſſe beim Gegner die Urſache geweſen zu ſein. Das erklärt es aber nicht, daß 52 Sotnien im ſchwierigen Gebirgskriege Verwendung fanden, „wo das Vorgehen außerhalb der ſogenannten Wege ſelbſt für Infanterie äußerſt ſchwierig, für Kavallerie ſo gut wie ausgeſchloſſen war“.
Bei der Weſtabteilung und der Abteilung Dembowski befand ſich nur wenig mehr Kavallerie, 56 Sotnien, davon an unabhängiger Reiterei zwei einzelne Regimenter und zwei Brigaden. Hierher gehörte die große Über— zahl von Kavallerie unter einheitlichem Befehl, in Diviſionen gegliedert, verſehen mit ſtarker Artillerie und Maſchinengewehren und beſtimmt, gegen die linke Flanke und den Rücken der Japaner zu operieren, um dieſe hier feſtzuhalten oder doch deren Vorgehen zu verzögern. Inzwiſchen wäre es Aufgabe des an Infanterie zu verſtärkenden linken Ruſſiſchen Flügels ge— weſen, im Gebirge die Entſcheidung herbeizuführen.
Wie wir aber noch ſehen werden, verfiel die dem Weſtflügel zugeteilte Reiterei in die den übrigen Waffen vorgeſchriebene „abwartende Haltung“,
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was ſich bei dieſer in Tatenloſigkeit überſetzte, während auf der anderen Seite am Oſtflügel die allgemeinen Verhältniſſe es der Reiterei unmöglich niachten, die offenſive Aufgabe zu erfüllen. über den Bedarf hinaus ſtark waren ferner die zurückgehaltenen Heeresteile.
Der Vormarſch der Ruſſen begann am 5. Oktober. Das Japaniſche Heer war in zwei Armeen gegliedert und hatte ſeine Stellung nördlich Liaojang am rechten Taitſihoufer befeſtigt. Bei der Erſten Armee am rechten Flügel befand ſich ſelbſtändig die 2. Kavalleriebrigade mit 8 Eska— drons und 6 Maſchinengewehren, bei der Zweiten Armee am linken die 1. Kavalleriebrigade mit 2 Bataillonen, 12 Eskadrons, 6 Maſchinen⸗ gewehren. Die Geſamtzahl der Japaniſchen Streitkräfte belief ſich auf 164 bis 170 Bataillone,*) 50 Eskadrons, 558 Geſchütze, 18 Maſchinen⸗ gewehre, zuſammen rund 170 000 Gewehre und Säbel. Die Ruſſen hatten alſo ein nicht unerhebliches Übergewicht. |
Durch den Ruſſiſchen Vormarſch wurden die Japaner nicht überraſcht. Schon in den erſten Oktobertagen gewann das Oberkommando der Erſten Armee die Überzeugung, daß die Ruſſen ihren Hauptſtoß gegen den rechten Flügel des Heeres richten würden. Die am 6. Oktober eingehenden Mel— dungen behoben jeden Zweifel darüber. Am 7. Oktober wurde daher die 2. Kavalleriebrigade zur Aufklärung gegen den Ruſſiſchen linken Flügel vorgeſchickt. Am 8. nahm die Abteilung Rennenkampf die Vorpoſtenſtellung eines Etappenbataillons, konnte aber weitere Fortſchritte nicht machen. Dagegen gelang es im Verein mit der 6. Oſtſibiriſchen Schützendiviſion am 9. am äußerſten rechten Japaniſchen Flügel den Maiſan und die Vor— ſtellung des Sakiſan zu nehmen. Auch umging dieſen Flügel am gleichen Tage die halbe Transbaikal-Kaſakendiviſion unter General Ljubawin, nach— dem ſie den Taitſiho auf Pontonbrücke überſchritten und die telegraphiſche Verbindung des Gegners nach Süden unterbrochen hatte. Ljubawin ließ darauf ſeine vier Geſchütze gegen die Japaniſche Stellung wirken, konnte aber mehr nicht erreichen, da Rennenkampf die erbetene Unterſtützung durch Infanterie verweigerte. Inzwiſchen hatten rechts von Rennenkampf Ka: ſaken der Sibiriſchen Diviſion vergeblich den Talinpaß angegriffen.
Am gleichen Tage wurde die Transbaikal-Kaſakenbrigade Miſchtſchenko aus der Reſerveſtellung 10 km hinter der Front mit dem 4. Sibiriſchen Korps in die 18 km breite Lücke vorgezogen, die zwiſchen der Oſt- und der Weſtabteilung vorhanden war.
Am 10. verſuchte Ljubawin erneut vergeblich vom Südufer des Taitſiho vorzugehen. Gegen ihn wurde die 2. Japaniſche Kavalleriebrigade von ihrer Erkundung zurückgeholt, kam aber an dieſem Tage nicht mehr zum Gefecht. Doch gelang es Japaniſcher Infanterie den Maiſan und die
*) fiber die Verwendung von 6 Vataillonen ſteht Sicheres nicht feſt.
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übrigen verlorenen Stellungen wiederzunehmen, die zurück zu erobern den Ruſſen nicht glückte.
Dennoch war die Lage der Japaner auf dieſem Flügel eine ſehr ernſte, da die Stellung für ihre ſchwachen Kräfte zu ausgedehnt, eine einheitliche Gefechtsleitung unmöglich war. Oft mußten Kompagnien aus der Feuer⸗ linie herausgezogen und an bedrohten Stellungen eingeſetzt werden.
Der Oberfeldherr Oyama aber hatte inzwiſchen den Entſchluß gefaßt, der Ruſſiſchen Offenſive durch den Gegenangriff zu begegnen, „denn man dürfe ſich auch von einer Überlegenheit nie in die Defenſive drängen laſſen“. Dieſer kühne Entſchluß kennzeichnet Oyama als bedeutenden Feldherrn und erweiſt deutlich den verſchiedenen Geiſt, der in der Kriegführung beider Teile herrſchte.
Die Japaner führten die Umfaſſung mit ihrem linken Flügel aus, ſetzten aber am Oſtflügel ihre äußerſten Kräfte und letzten Reſerven ein, um ſich der Ruſſen zu erwehren. Auch hierin wird det ſtarke Gegenſatz mit der Ruſſiſchen Gefechtsführung bemerkbar, die es nie verſtanden hat, mit dem letzten Bajonett um den Sieg zu ringen und von ihren Reſerven, ſpeziell auch der Kavallerie, den richtigen Gebrauch zu en wie wir dies noch weiterhin ſehen werden.
Ein Japaniſches Bataillon überſchritt am 11. ſogar den Taitſiho und zwang die Kaſaken Ljubawins und die wahrſcheinlich ebenfalls anweſende Sibiriſche Kaſakendiviſion zum Rückzuge, ein Zeichen geringer Wider— ſtandskraft dieſer Truppen. Das Bataillon zog indeſſen wieder ab und am 12. konnten die Ruſſen ihre verlaſſenen Stellungen wieder einnehmen. Kaum war dies geſchehen, als die 2. Japaniſche Kavalleriebrigade unbemerkt im Rücken der Ruſſen erſchien und dieſe unter ein überraſchendes Feuer aus Karabiner und Maſchinengewehr nahm, worauf ſie endgültig nach Oſten abzog.
Die Infanterie Rennenkampf und das 3. Sibiriſche Korps traten, von den Kämpfen erſchöpft, ohne höheren Befehl gleichfalls den Rückzug an. Somit war die Offenſive des linken Ruſſiſchen Flügels geſcheitert. Da auch die Japaner in hohem Grade erſchöpft waren, folgten den Ruſſen nur Patrouillen der Kavallerie.“
Dieſe Kämpfe am Oſtflügel ſind in hohem Grade lehrreich. Wenn r man davon abſieht, daß die Aufgabe der Umfaſſung und des Erkämpfens der Entſcheidung in dem ſchwierigen Gebirgsgelände der Kavallerie überhaupt nicht zukam, von ihr nicht zu leiſten war, fo liefert das Vorgehen der Ka⸗ ſaken Ljubawins doch ein treffliches Bild, wie wir uns die Verwendung ſtarker EE künftig in der Schlacht zu denken haben. Ebenſo
) Vgl. das S. 14 mitgeteilte Urteil Kuropatkins über die Gefechtsführung Rennenkampfs an dieſem Tage. ä En Ä
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bietet das Verhalten der Japaniſchen Kavalleriebrigade auf dieſem Verteidi— gungsflügel ein treffliches Beiſpiel dafür, wie ſolchem Vorgehen überlegener Kavallerie zu begegnen iſt, wenn die Umſtände den Angriff zu Pferde nicht geſtatten. Man gewinnt aber auch den Eindruck, daß nur vom einheitlichen Gebrauch ſtarker Gefechtskörper Ergebniſſe zu erwarten ſind, denn die Ka— ſaken Ljubawins waren auch zahlenmäßig der Aufgabe nicht gewachſen.
Im Zentrum hatte ſich am 11. die Brigade Miſchtſchenko an einem ziemlich matten Gegenangriff gegen die vorgehenden Japaner beteiligt und war dann ohne ernſten Widerſtand in nordöſtlicher Richtung ausge— wichen. Durch die dadurch wieder entſtandene Lücke zwiſchen der CH. und der Weſtabteilung brachen drei Japaniſche Garderegimenter durch und ſchwenkten dann links gegen die Hauptſtellung des 4. Sibiriſchen Korps ein. Den Rücken⸗ und Flankenſchutz dieſer Regimenter übernahmen zwei unter Oberſt Kaſa vereinigte Regimenter der Diviſionskavallerie.
Am Weſtflügel hatte am 10. die 1. Japaniſche Kavalleriebrigade, auf Sandepu vorgehend, durch Patrouillen, die ſie auf dem rechten Hunhoufer vortrieb, ſtarken Feind bei Tſchantan feſtgeſtellt. Dieſer und die Abteilung Dembowski griffen darauf mit Teilen, während das Gros untätig blieb, die Brigade vergeblich in Sandepu an. Die Japaniſche Brigade hat dann während der nachfolgenden Kämpfe die Abteilung Dembowski und die Kaukaſiſche Reiterbrigade gefeſſelt, denen jede einheitliche und energiſche Gefechtsführung gefehlt zu haben ſcheint. Am 13. wies die Brigade im Fußgefecht den Angriff Ruſſiſcher Kavallerie zurück, während am Tage vor— her das 17. Ruſſiſche Korps am rechten Flügel eine Niederlage erlitten hatte und in voller Flucht zum Schaho zurückgegangen war.
Trotzdem gingen die Ruſſen auf dieſem Flügel wiederholt zu Gegen— angriffen über. Dieſe ſcheiterten, weil ſie ohne Einheitlichkeit und zeitlich hintereinander ausgeführt wurden. So fehlte z. B. auch bei dem Angriff des 6. Korps die Unterſtützung der unmittelbar weſtlich von dieſem operie— renden Abteilung Dembowski und der Ruſſiſchen Kavallerie. Letztere hat nicht einmal verhindert, daß die Japaniſche 1. Kavalleriebrigade vorrückte und den rechten Flügel des Ruſſiſchen Korps unter Geſchützfeuer nahm. Ohne Erfolg zu haben ging das Korps am Abend in ſeine Ausgangsſtellung zurück.
Einen vorübergehenden Erfolg hatten die Ruſſen am 16. im Zentrum, indem es gelang, die bekannte Stellung am Nowgorod- und Putilowhügel den Japanern wieder zu entreißen und 14 Geſchütze und Maſchinengewehre zu erbeuten.
Da dieſer ſchöne Erfolg aber nicht ausgenutzt wurde, ſo war durch ihn zwar die große Gefahr im Zentrum beſeitigt, die Geſamtlage aber nicht zu— gunſten der Ruſſen gewendet, für die es ſich jetzt nur noch um einen ge— ordneten Rückzug und das Zuſammenſchließen der getrennten Teile handelte.
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Dies gelang, weil die Japaner wie die Ruſſen bei Beendigung des Kampfes aufs äußerſte erſchöpft waren. Marſchall Oyama jah überdies die Offen- ſive ſeines Heeres für beendet an; Kuropatkin plante allerdings die Wieder— aufnahme der Offenſive nach einigen Tagen, es kam indeſſen nicht dazu, die Gegner befeſtigten ſich in der Schahoſtellung.
Während, wie wir ſahen, die Ruſſiſche Kavallerie des Oſtflügels ent— ſch'eden beſtrebt geweſen iſt, ihrer unerfüllbaren Aufgabe in ſachgemäßer Weiſe gerecht zu werden, hat ſich die Kavallerie des Weſtflügels dieſer, die hier ſehr bedeutungsvoll werden konnte, in keiner Weiſe gewachſen gezeigt, nicht einmal der ſehr viel ſchwächeren Japaniſchen hat fie ernſten Wider— ſtand geleiſtet. Die Führer beider Japaniſchen Brigaden haben es jeden— falls verſtanden, ſich nach Kräften zur Geltung zu bringen. Die erſte Bri— gade ſicherte, wie bemerkt, bis zum Ausgang der Schlacht dauernd die linke Flanke der Japaner in erfolgreichen Kämpfen überlegenen Kräften gegen— über, dieſe feſthaltend. Die 2. Brigade klärte weit vorwärts des linken Ruſſiſchen Flügels auf. Die Verwendung beider Truppenkörper erſcheint muſtergültig.
Die Gründe, aus denen die Ruſſen in dieſer Schlacht aus der ſtarken überlegenheit ihrer Kavallerie keinen Vorteil gezogen haben, ergeben ſich ars dem Angeführten. Der Verlauf dürfte aber auch die Überzeugung rechtfertigen, daß bei richtiger Verwendung durch die obere Führung eine ſtarke, gut organiſierte, ausgebildete und befehligte Kavallerie ſehr wohl am Weſtflügel die Schlacht zugunſten der Ruſſen hätte entſcheiden können.
Die Vorgänge in der Schlacht bei Mukden ſollen nur ſo weit be— trachtet werden, als daraus Schlüſſe zu ziehen ſind, inwieweit unter den heutigen Umſtänden die Kavallerie noch Ausſicht hat, bei der Verfolgung eine entſcheidende Rolle zu ſpielen.“) Zu bemerken iſt, daß am 4. März 1905 (die Operationen hatten am 24. Februar begonnen) auf dem linken Ja— raniſchen Flügel, der in der Hunhoebene operierte und, nach Norden aus⸗ holend, den Ruſſiſchen rechten Flügel umfaſſen ſollte, die dort operierenden be'den Japaniſchen Kavalleriebrigaden zu einer Diviſion vereinigt wurden.
Am 3. März war es hier der Japaniſchen Kavallerie, nur durch zwei Bataillone verſtärkt, gelungen, eine Ruſſiſche Infanteriebrigade und die Transbaikal⸗Kaſakendiviſion durch Angriffe zu Fuß nach Nordoſten abzu— drängen.
Bei den Ruſſen ſehen wir wieder die bekannte unheilvolle Berfplitte- rung der Reiterei.
Bisher hatten bei dem für die Ruſſen ſtets nachteiligen Ausgange der een die Vorbedingungen für eine nachdrückliche Verfolgung durch
D S. Skizze 1.
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den Sieger gefehlt, da es jenen, die eine eigentliche Niederlage nicht erlitten hatten, ſtets gelang, eingetretene Unordnung ſehr bald zu beſeitigen, während die ſehr erſchöpften Japaner zur Verfolgung unfähig waren. Dazu kam der Mangel an Reiterei beim Sieger. |
Aus ihren Stellungen ſüdlich Mukden begannen die Ruſſen den Rück— zug in der Nacht vom 7. zum 8., er wurde den ganzen 8. hindurch fortgeſetzt und vollzog ſich, abgeſehen von Teilen der Zweiten Armee, deren Weg zurück— gelaſſene Fahrzeuge, Waffen, Bekleidungs- und Ausrüſtungsſtücke bezeich— neten, im allgemeinen ordnungsmäßig. Da die Japaner nicht drängten, gelang es auch dort, bald die Ordnung herzuſtellen.
Am 8. früh aber gab General Kuroki (Erſte Armee im Zentrum) fol— gende Direktiven: „Das wichtigſte iſt, den Feind zwiſchen Fuſchun und Mukden abzuſchneiden. Daher geht jede Diviſion“) ohne Rückſicht auf Ver⸗ luſte ſo ſchnell als möglich vorwärts, um den Hunho noch heute zu er— reichen. Kleinere feindliche Detachements ſind unberückſichtigt zu laſſen.“
Die 3. Japaniſche Diviſion, die den rechten Ruſſiſchen Flügel umfaßt hatte, erhielt am gleichen Tage den Befehl, den ihr gegenüberſtehenden Feind um jeden Preis zu werfen und den Ruſſen den Rückzug abzuſchneiden. Dennoch gelang es dieſen, am 9. ihre Rückzugslinie nach Zielt offen zu halten.“) |
Die Verbände der Truppen vermiſchten fid) an dieſem Tage aber völlig. Nur das 17. und das 1. Sibiriſche Korps bildeten ziemlich geſchloſſene Ein— heiten. Auf dem rechten Japaniſchen Flügel erbeutete das Japaniſche Garde⸗Kavallerieregiment Trains und foll dabei attackiert haben.
Die größte Gefahr bildeten die gegen die Rückzugslinie und die Bahn vordringenden Japaniſchen Armeen (Zweite und Dritte). Hier befand ſich auch ſtarker Ruſſiſcher Kavallerie gegenüber die Japaniſche Kavallerie— diviſion. Die Verhältniſſe hier ſcheinen noch nicht ganz geklärt.
Die Entſcheidung brachte am 10. die Japaniſche Vierte Armee, die dicht öſtlich Mukden durchbrach, zahlreiche Gefangene machte und ſtarke Ver— bände zerſprengte. Seit dem Morgen dieſes Tages gingen nun die Haupt— kräfte der Ruſſiſchen Weſtfront, untermiſcht mit Artillerie und Trains, im regelloſen Zuge zwiſchen der Eiſenbahn und der Mandarinenſtraße in Richtung Tieling zurück. Japaniſches Artilleriefeuer ſüdlich vom Bahnhof Wuſitai und das Erſcheinen von einigen hundert Chunguſiſchen Reitern***) zwiſchen Bahnhof Hſintaitſi und Mlu genügten, um ſtarke Paniken zu erzeugen. )
*) Eine Gliederung in Armeekorps beſtand bei den Japanern nicht. *) An dieſem Tage wurden die Trains der um Mukden ſtehenden Truppen. ferner Lazarette und rollendes Material der Eiſenbahn in nördl. Richtung abgeſchoben. 0 Nach Oberſt Herzog von Leuchtenberg in „Die Znkunft der Kavallerie“ (ſ. Literatur) zwei ſchwache Japaniſche Schwadronen mit zwei Seichligen.
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Honved⸗Rittmeiſter Spaits ſchildert dieſen ſelbſterlebten Rückzug in ſeinem Werke „Mit Kaſaken durch die Mandſchurei“ ſehr anſchaulich. Er und mit ihm viele andere, die die ſchreckliche Verfaſſung der vielfach waffenlos und unter voller Lockerung der Diſziplin zurückflutenden Maſſen würdigen, ſind der Anſicht, daß hier ein paar tüchtige, energiſch geführte Kavallerie⸗ diviſionen, verſehen mit Artillerie und Maſchinengewehren, den Rückzug zu einer vollen Vernichtung des Heeres hätten geſtalten können.“)
Aus dem Eindruck, den das bloße Erſcheinen von ein paar hundert minderwertigen Reitern auf die Fliehenden gemacht hat, iſt der Rückſchluß leicht. Es hätte hier in der Hand der Kavallerie gelegen, nicht nur den Sieg der Japaner in eine volle Niederlage, in ein Sedan für die Ruſſen zu ver⸗ wandeln, ſondern auch den Feldzug in einer Weiſe zu beenden, daß Japan die Friedensbedingungen hätte diktieren können. Da aber jene Kavallerie fehlte, gelang es den Ruſſen überraſchend ſchnell, das Heer wieder zu ordnen, jo daß dieſes nach Ergänzung der Verluſte in neuer Stellung bald wieder eine der Japaniſchen ebenbürtige Macht darſtellte. |
Daß der Frieden das Japaniſche Volk, beſonders durch das Ausbleiben jeder Kriegskoſtenentſchädigung ſtark enttäuſchte, iſt auf dieſen Umſtand zurückzuführen. In Japan wird dieſe Tatſache voll gewürdigt, wie aus der Abſicht zu ſchließen iſt, angeblich acht Kavalleriediviſionen ER im Frieden aufzuſtellen.
Wenn man bisher, auch nach unſeren Erfahrungen von 1870/71, viel⸗ fach angenommen hat, daß bei der heute ſo vollkommenen Bewaffnung der anderen Truppengattungen die Kavallerie als Verfolgungswaffe nicht mehr auf ſo große Erfolge zu rechnen haben würde, ſo hatte man nicht mit jenen viele Tage dauernden Schlachten gerechnet, wie fie in der Mandſchurei durch— gefochten worden ſind. Bei den heutigen Maſſenheeren wird man auch künftig Kämpfe von ſo langer Dauer zu erwarten haben, daß nach der ge— fallenen Entſcheidung die Kräfte der Kämpfer vollkommen aufgebraucht ſind; da das drückende Gefühl der Niederlage dazu kommt, wird auch der moraliſche Mut bei den Beſiegten vernichtet ſein, und darauf allein kommt 2 ſchließ⸗ lich an. Ä =
In welchem Grade dies der Fall ſein kann, hat uns zudem der Rückzug der Italiener nach dem weſentlich kürzeren Kampfe bei Adua gezeigt, wo die phyſiſche und moraliſche Erſchöpfung ſo weit gediehen war, daß Abeſſiniſche
*) Den Gipfel erreichte jene Panik, die Bilder aufwies, wie bei dem Über— gang der großen Armee über die Bereſina, in der Nacht vom 10. zum 11. März auf der Mandarinenſtraße, als die Maſſe der Flüchtenden, Fußgänger und Reiter durch— einander gemiſcht, ſich an dem Puho hungernd und frierend ſtaute, deſſen Überſchreiten Schwierigkeiten bereitete, und gegen 3 Uhr morgens eine vor den Japanern flüchtende Munitionskolonne in jene Maſſe in raſender Jagd hineinfuhr, alles was ſich ent— gegenſtellte, zermalmend, worauf ein wildes Schießen nach allen Richtungen entſtand und alles rückſichtslos vorwärts ſtürzte.
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Reiter in die Marſchkolonnen ſprengen und einzelne Leute mit ihren Lanzen niedermachen konnten, ohne daß auch nur ein Widerſtand verſucht wurde.
Jedenfalls dürften die Ereigniſſe auf dem Rückzuge der Ruſſen den Schluß zulaſſen, daß eine in jeder Hinſicht erſtklaſſige, alſo höher zu be— wertende Reiterei als die beider Gegner in jenem Feldzuge, die Eigen— ſchaften beſitzt, um künftig mehr denn jemals die Waffe der Verfolgung und letzten Entſcheidung zu ſein.
Es bleibt uns nur noch übrig, einen Blick zu werfen auf Unter- nehmungen ſtarker Kavalleriekörper gegen die rüd- wärtigen Verbindungen, die „Raids“, wie man ſolche Opera— tionen ſeit des großen Stuart Zeiten nennt.
Jedenfalls kann es keinem Zweifel unterliegen, daß in künftigen Feld— zügen, wenn, wie zu erwarten, die Schlachten tagelang dauern, die Bedeu— tung ſolcher Unternehmungen ſich ſteigern muß, denn bei dem heutigen koloſ— ſalen Munitionsverbrauch und dem erforderlichen unausgeſetzten Nachſchub rieſiger Munitions- und Verpflegungsvorräte muß jede längere Unter— brechung der Verbindungslinie zu einer Kriſis führen.
Wir kommen da zunächſt zu dem großen Ritt des Generals Miſchtſchenko nach Inkou. Da dies Unternehmen ziemlich bekannt iſt, ſoll es möglichſt kurz behandelt werden.“)
Nach dem Falle von Port Arthur mußten die Ruſſen erwarten, daß der Gegner die dort freigewordenen Feldtruppen zur Armee am Schaho ſtoßen laſſen würde. Dieſes Vorrücken zu verzögern, ſollte um den eigenen weſt— lichen Flügel herum gegen den Rücken der Japaner ein Raid unternommen werden, um die Verbindungslinie des Gegners zu unterbrechen und die Ein— ſtellung von Nachſchub und Truppentransporten zu erzwingen. Sobald dann
der Anſchluß der Dritten Japaniſchen Armee verzögert, die Zufuhr von Mu⸗,
nition und Lebensmitteln unterbrochen ſein würde, ſollte dieſer Schwäche— moment zu einem Angriff auf den linken Japaniſchen Flügel benutzt werden, der mit einem Abdrängen der Japaner von ihrer Verbindungslinie enden ſollte.
Wahrlich eine bedeutungsvolle Aufgabe für die Kavallerie, die, glücklich gelöſt, den Feldzug entſcheiden konnte.
Die dem Führer zur Verfügung geſtellten Truppen: 16 Dragoner— eskadrons, 53 Kaſakenſotnien, 4 berittene Jagdkommandos, 22 Geſchütze, 4 Maſchinengewehre ſtellten eine Macht dar, mehr als ausreichend, auch ſtarke Hinderniſſe zu beſeitigen, aber zu umfangreich, um in allen Teilen zur Wirkung zu kommen und um das Mittel der überraſchung wirkſam
*) S. Skizze 4.
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serden zu laſſen. In der übergroßen Stärke, noch mehr aber in der Be- laftung durch einen Troß von 1500 Packpferden, der im weſentlichen Ver⸗
Skizze 4.
pflegung enthielt, die in dem reich kultivierten Lande zu haben geweſen wäre, lag der Keim zum Scheitern des Unternehmens.
Die Abficht des Führers ging dahin, zwiſchen Hun- und Liao⸗Fluß nach Süden vorzugehen, dann über Niutſchwang nach Oſten gegen die Bahn
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zwiſchen Haitſchön und Daſchitſao einzubiegen und hier die Verbindungs- linien der Japaner gründlich zu unterbrechen. Dieſe Strecke eignete ſich dazu deshalb beſonders, weil die Bahn hier ſchon durch unebenes Terrain führt und Objekte aufweiſt, deren Zerſtörung eine längere Unterbrechung des Verkehrs gewährleiſtet. Auch hat die Bahn ſchon die Nebenlinie Inkou — Dalditfao aufgenommen. Im übrigen war das Hauptaugenmerk des Führers auch auf Inkou gerichtet worden, wo ſehr bedeutende Vorräte lagern ſollten.
Das Korps ſammelte ſich am 8. Januar bei Suhudjapu, 20 km ſüdweſt⸗ lich Mukden, und erreichte nach zwei Marſchtagen von nur 30 km den Hunho bei Kalike, wo man den Übergang erſt gegen Chunguſenbanden mit Verluſt von 6 Offizieren, 35 Mann erzwingen mußte. In ähnlich langſamem Tempo ging es weiter. Am 11. erreichte die Kolonne Niutſchwang, von wo un⸗ beläſtigt zwei Landwehrkompagnien abzogen. Hier änderte der Führer ſeinen urſprünglichen Plan und wandte ſich nicht, wie beabſichtigt, gegen die Bahnlinie, ſondern nahm die Richtung auf Inkou. Den Anlaß zur Ande— rung des Entſchluſſes muß man wohl in der Tatſache ſuchen, daß Haitſchön von 1500 Mann, Daſchidſao von etwas ſtärkeren Kräften beſetzt war. Es genügten jedenfalls einige tauſend Mann Japaniſcher Landwehrtruppen, um einen Führer, der eine Macht von 9000 Reitern, 22 Geſchützen und 4 Ma⸗ ſchinengewehren befehligte, von ſeinem bedeutungsvollen Hauptobjekte abzu— lenken und ihn einer Nebenaufgabe zuzuführen. Nur eine ſolche konnte er durch die Beſetzung von Inkou löſen, wo zwar reiche Vorräte aufgeſtapelt waren, aber die Etappenlinie für die rückwärtige Verbindung der Japaner nebenſächlich war. Gegen die wichtige Hauptbahnlinie aber ſandte Miſch— tſchenko eine Anzahl Offizierpatrouillen, die die Bahn auch an mehreren Stellen unfahrbar machten, doch war mangelndes techniſches Verſtändnis der Mannſchaften die Urſache, daß die Zerſtörung in ſo unzureichender Weiſe erfolgte, daß nur eine Zugunterbrechung von ſechs Stunden erreicht wurde.
Von Niutſchwang marſchierte die Kolonne noch am 11. weiter und er— reichte (42 km) am Abend Lenſandin, nur 22 km von Inkou. Von Lenſan— din wurde vormittags abgerückt, doch eine mehrſtündige Raſt gemacht, da Miſchtſchenko beſchloſſen hatte, erſt bei Sonnenuntergang vor Inkou zu er— ſcheinen, um den Angriff nach Eintritt der Dunkelheit auszuführen. Da man nicht dafür Sorge getragen hatte, die kurze, nach dem Ort führende Bahn— linie rechtzeitig gründlich zu zerſtören, ſo langten unter den Augen der Ruſſen mittels dieſer noch zwei Japaniſche Bataillone daſelbſt zur Ver— ſtärkung an.
Der Moment der überraſchung war verſäumt, die Japaner auf den An— griff vorbereitet, als um Di Geſchützfeuer der Ruſſen dieſen einleitete. Nach— dem ſolches zwei Stunden gewährt hatte, begann ohne vorherige Erkundi— gung der Japaniſchen Verteidigungsmaßregeln der Angriff. Dazu ſaßen
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19 Sotnien und Eskadrons ab, faſt alle verſchiedenen Regimentern an- gehörig, angeblich, damit ES Regimentskommandeur den Georgsorden erwerben könne.
Drei der Sotnien bildeten die Pferdebedeckung, ſo daß nur 16 den eigentlichen Angriff ausführten. Dieſer erfolgte in völliger Dunkelheit. Dieſer Umſtand ſowie der Mangel an Übung im Fechten in jo ſtarkem Ver⸗
bande hatte zur Folge, daß die Mannſchaften ſchon nach dem erſten Vor⸗
ſpringen durcheinander kamen, dann gelangte man, darauf nicht vorbereitet, an vorgelegte Drahthinderniſſe, begegnete einer energiſchen Verteidigung, eine ungeheure Verwirrung entſtand und man gab das Unternehmen nach einem Verluſt von 17 Offizieren, 183 Mann auf. Man trat den Rückmarſch auf anderem Wege an, nachdem Miſchtſchenko erfahren hatte, daß inzwiſchen Niutſchwang von fünf Bataillonen Infanterie beſetzt worden war.
Am 16. erreichte das Korps vorgeſchobene Heeresteile, nachdem man am 14. infolge eines Überfalls durch Japaniſche Infanterie mit Gebirgs⸗ geſchützen noch 4 Offiziere, 41 Mann verloren hatte. So endete ein Unter— nehmen, deſſen Gelingen den Ruſſiſchen Reitern zum größten Ruhme gereicht hätte, deſſen Organiſation aber fehlerhaft war und an deſſen Durch— führung man nicht die volle Energie geſetzt hatte. Die Angriffstruppe auf Inkou, die noch nicht den vierten Teil der verfügbaren Kräfte betrug, war der Beſatzung gegenüber von vornherein zu ſchwach bemeſſen worden. Zu einer Wiederholung entſchloß man ſich nicht.
Wenn Miſchtſchenko für die Einnahme von Inkou den Beſtand feines Korps nicht aufs Spiel geſetzt hat, ſo erklärt ſich dies; Entſcheidendes war
Jan dieſer Stelle überhaupt nicht zu erreichen.
Für die gründliche Zerſtörung der großen Verbindungslinie aber hätte der volle Einſatz ſich bezahlt gemacht. Die Japaner hatten bei dieſer Ge— legenheit wieder einmal den Mangel einer ausreichenden Kavallerie zu beklagen, deren Aufgabe es geweſen wäre, der drohenden, ſehr ernſten Gefahr in erſter Linie zu begegnen.
Bemerkenswert iſt, daß General Miſchtſchenko, ein SE tapferer und in jeder Hinſicht in der Armee hoch geachteter General, hier die be ſonderen Eigenſchaften des Reiterführers vermiſſen ließ; allerdings fehlte ihm auch die Vorbildung als ſolcher, denn er war bis zur Übernahme des Kommandos Artilleriſt geweſen. Es erweiſt ſich immer wieder, daß der Mann, von dem als Kavallerieführer bedeutende Leiſtungen erwartet werden ſollen, aus beſonderem Holze geſchnitzt ſein muß. Er muß unter Umſtänden nicht zögern, ſeine Schiffe hinter ſich zu verbrennen. Von einem Stuart hatte Miſchtſchenko nur den perſönlichen Mut. Indeſſen wuchs er doch in ſeine Aufgabe immer mehr hinein, wie wir dies bei Betrachtung des zweiten großen Raids erkennen, den er nach der Schlacht bei Mukden im Mai 1905
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kurz vor dem Schluſſe des Feldzuges aus der Gegend von Charbin unter- nahm.“)
Hierbei führte der General 45 Sonim 6 Geſchütze, 2 Maſchinen⸗ gewehre. Er ſollte in den Rücken der linken Gruppe der Japaniſchen Streitkräfte eindringen, die Aufſtellung des Gegners erkunden und mög⸗— lichſt ſtarke Zerſtörungen ausführen. Man umging ſtärkere feindliche Ste- lungen, deckte die ſchwächeren mit Feuer zu und attackierte die ur d. eilenden. Dadurch gelang es am 15. Mai, die kleineren vorderen Poſtie— rungen der Japaner zu durchbrechen, zahlreiche Zerſtörungen vorzunehmen und gegen den Liaoho bis auf 80 km im Rücken der Japaner vorzudringen. Der Erfolg war ein anſehnlicher, es wurde die ganze Aufſtellung des Gegners in dieſem Abſchnitt erkundet. Man ſtellte feſt, daß ein angriffsweiſes Vor— gehen der Japaner vorläufig nicht zu erwarten ſei, auch wurde ihnen ſtarker materieller Schaden zugefügt. 2 Kompagnien waren vernichtet, 2 ON gewehre erbeutet, 234 Gefangene gemacht worden.
Bemerkenswert iſt aber, daß ein Japaniſches Unternehmen in dem Rücken der Ruſſen wenige Tage vor der Schlacht von Mukden, von nur zwei Japaniſchen Eskadrons (280 Reitern) ausgeführt, ein viel folgenreichen es Ergebnis hatte, als jene groß angelegte Entſendung. Dieſe ſchwache Truppe umging den Ruſſiſchen Oſtflügel, marſchierte mit möglichſter Schnelligkeit nur nachts und hielt ſich bei Tage verborgen. — Auf dieſe Weiſe gelang es ihr unbemerkt die wichtige Eiſenbahnbrücke bei Gundſchulin, 200 km nördlich von Tielin im Rücken der Ruſſen, zu erreichen. Die Deckungs— truppen wurden nachts überraſchend angegriffen, und ſo ihre Aufmerkſam— keit von der zu ſichernden Brücke abgelenkt, deren Sprengung einer geſchickt geführten Patrouille gelang.
Der Verkehr ſtockte durch mehrere Tage. Im Ruſſiſchen Hauptquartier entſtand eine wahre Panik. Kuropatkin verſtärkte ſofort die Bahnbeſatzungs— truppen um eine Infanteriebrigade und die Donſche Kaſakendiviſion, jo daz; weitere 8000 Mann von der Entſcheidungsſchlacht bei Mukden ferngehalten wurden. Allerdings iſt bei dem Gelingen des Unternehmens in Rechnung zu ziehen, daß den Japanern die Unterſtützung der Chunguſen und der Land— bevölkerung zuteil wurde — ein wichtiger Umſtand, wie er wohl im eigenen Lande meiſt eintreten wird. Es dürfte aber auch wohl von Fall zu Fall zu erwägen ſein, ob bei ſolchen Operationen nicht kleinere Abteilungen, die in der Lage find, ihren Marſch verborgen auszuführen, mehr Ausſicht haben, folgreich zu operieren, als große Gefechtskörper.
*) S. Skizze 8
— — — —
—ͤ—ũ4—F ͤm¶— — —— de eege
33
Reſümierend darf ich das Ergebnis der Betrachtungen dahin zu⸗—
ſammenfaſſen:
1.
2.
Daß der Mandſchuriſche Krieg in taktiſcher Hin⸗ ſicht Lehrreiches für die Kavallerie nicht bietet;
daß, wenn dem Aufklärungsdienſte der Kavallerie in ſo ſchwierigem Gelände wie um Saimatſi auch Grenzen geſteckt ſind, doch auch hier Ergebniſſe zu erwarten find, wenn zähe Fühlung am Feinde ge- halten wird, man ſich jeder ſeiner Bewegungen an- hängt und während der Erkundungsgefechte ziel bewußt die Aufklärung fortſetzt; |
„daß die Kavallerie auch in der Schlacht noch eine
entſcheidende Wirkung zu entfalten vermag, wenn ſie in großen Verbänden in geeignetem Gelände gegen Flanke und Rücken des ee einheitlich angeſetzt wird; |
daß heute nach den tagelangen Schlachten Ser bei
Truppen von fo zäher Tapferkeit wie die Ruſſi⸗
ſchen noch Paniken ſchlimmſter Art durch das bloße
CO
Erſcheinen von Kavallerie erzeugt werden können, die es dieſer ermöglichen, den Rückzug des Gegners in Flucht und Vernichtung zu ver- wandeln;
. daß bei der heute jo a geſteigerten
Empfindlichkeit der rückwärtigen Verbindungen der Maſſenheere deren Zerſtörung durch Kavalle⸗ rie noch ſchwerer ins Gewicht fällt als bisher.
Hierbei aber ſetze ich immer eine Kavallerie voraus, die vorzüglich orga⸗
niſiert iſt, die ſich alle techniſchen Kriegsmittel für den Nachrichtendienſt zu eigen gemacht hat, die mit dem Feuergefecht völlig vertraut iſt, die ſich auch mit ſchwierigem Gelände abzufinden weiß, hohe moraliſche Eigen- ſchaften und tüchtige Führer beſitzt, alſo eine erſtklaſſige Kavallerie, wie wir ſolche auf beiden Seiten im Mandſchuriſchen Kriege nicht gefunden haben.
Heutzutage aber macht ſich nur eine erſtklaſſige
Kavallerie bezahlt.
Beiheft z. Mil. Wochenbl. 1908. 1. Heft. 3
34
Literatur.
Der Kriegsſchauplatz in Oſtaſien. Geographiſche Beſchreibung und Würdigung von Major Joſeph Schön, Wien.
Die Aufklärung im Ruſſiſch⸗Japaniſchen Kriege von „Asiaticus“, Berlin.
Die Zukunft der Kavallerie. Sieben Aufſätze über die kavalleriſtiſchen Lehren aus dem Kriege in Oſtaſien, aus einer Preiskonkurrenz. Wien.
Die Kavallerie im Ruſſiſch-Japaniſchen Kriege 1904/5 von Major Junck, Leipzig.
Einzelſchriften über den Ruſſiſch-Japaniſchen Krieg, redigiert von Streffleur, Wien.
Der Ruſſiſch⸗Japaniſche Krieg von Major Immanuel, Berlin.
Der Ruſſiſch⸗Japaniſche Krieg von Major Loeffler, Berlin. |
Die Reiterei im Oſtaſiatiſchen Feldzuge von Rittmeiſter Guſtav Graf Wrangel, Wien.
Der Krieg zwiſchen Rußland und Japan von Hauptmann v. Kalinowski, Berlin.
Taktiſche Tagesfragen mit Rückſicht auf die Erfahrungen im Ruſſiſch-Japaniſchen Kriege von Major Hugo Schmidt, Wien.
Die Urſachen der Ruſſiſchen Niederlagen von Generalmajor E. F. Martynow, überſetzt von v. Schwartz, Berlin.
Die Schlacht am Schaho, Beiheft 9 zum Militär-Wochenblatt 1906.
Die Schlacht bei Mukden, Beiheft 10 zum Militär⸗ Wochenblatt 1905.
Der Ruſſiſch⸗Japaniſche Krieg von Hauptmann Aubert, Berlin.
Sechs Monate beim Japaniſchen Feldheer von Bronſart v. Schellendorff, Berlin.
Achtzehn Monate mit Rußlands Heeren in der Mandſchurei von Major Freiherrn v. Tettau, Berlin.
Mit Kaſaken durch die Mandſchurei von Rittmeiſter Spaits, Wien.
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Wanderungen über Jranzöſtſche Schlachtfelder des Krieges 1870 / 71.
Vortrag, gehalten in der Militäriſchen Geſellſchaft zu Berlin am 11. Dezember 1907 von v. Hülſen, Major im Generalftabe des Gardekorps. (Mit drei Skizzen.)
Nachdruck verboten. Überſetzungsrecht vorbehalten.
Im Sommer 1907 hatte ich Gelegen e die hauptſächlichſten i in Frank- reich gelegenen Schlachtfelder des Krieges 1870/71 zu beſuchen. Alle Ein⸗ drücke, die ich auf ihnen empfangen habe, zu ſchildern, würde den Rahmen eines Vortrages, der vielleicht eine Schlacht en könnte, weit iiber- ſteigen.
Ich beſchränke mich deshalb 1 einige der grundſätzlichen Fragen, auf die ich beim Verfolgen der Ereigniſſe auf den Schlachtfeldern ſtieß, und die mir beſonders im Hinblick auf augenblickliche taktiſche Strömungen intereſſant erſcheinen, zu erörtern, die Schlachtfelder ſelbſt nur als e zu benutzen.
Dabei iſt es nicht zu vermeiden, daß ich als nachträglich Prüfender manchmal zu anderen Anſchauungen kommen muß, als die ſeinerzeit Handelnden. |
Aus der Kriegsgeſchichte doen wir aber nur, wenn wir uns un— varteiiſch ſelbſt ein Urteil bilden. Wir dürfen uns nicht darauf beſchränken, die Ereigniſſe unſerem ES einzuprägen, wir müſſen ſie mit aller Schärfe durchdenken.
Nur hierdurch können wir einigermaßen die uns fehlende Kriegs— erfahrung erſetzen; die im Friedensdienſt erlangte Routine reicht nicht aus, denn es iſt ihr eigentümlich, daß ſie gern die Form über den Inhalt, das Schema über die geiſtige Selbſttätigkeit ſtellt.
Je häufiger man die verſchiedenſten Kriegslagen und Gefechtshand— lungen ſo durchdenkt, daß ſie gleichſam ein inneres Erlebnis werden, umſo— mehr wird man hoffen dürfen, ſein Urteil Io zu feſtigen, daß man im e falle inſtinktiv das Richtige trifft.
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Ich darf beſonders betonen, daß jede Kritik mir fern liegt; die Männer von 1870/71, die uns ein Deutſches Reich erkämpft haben, ſind darüber erhaben. Sie können aber verlangen, daß wir Epigonen von ihnen lernen, ſoweit es in unſeren Kräften ſteht.
Am Vorabend der Schlacht von Sedan“) hatte der Marſchall Mac Mahon ſich zu keinem Entſchluß durchringen können. Von den viel erörterten drei Möglichkeiten: Durchbruch auf Carignan, Rückzug auf Mezieres oder Annahme der Schlacht in einer vorbereiteten Stellung, hatte er keine gewählt.
Uns, die wir die Folgen dieſes Aufſchubes kennen, erſcheint er ſchlechterdings unverſtändlich, und doch tat der Marſchall nur, was an ſeiner Stelle wohl jeder Durchſchnittsfeldherr getan hätte. Er klammerte ſich an das Irrlicht der Hoffnung, daß über Nacht vielleicht beſſere Nachrichten und beſſerer Rat kämen, und blieb untätig, wo nur die größte Energie und Tätigkeit Rettung bringen konnten. Allerdings war er ſehr ſchlecht über die Bewegungen der Deutſchen Armeen unterrichtet, aber im Kriege bewegt ſich das Handeln des Feldherrn meiſt im Dunkeln. Sein Geiſt und ſein feſter Wille müſſen ihm in erſter Linie den Weg weiſen, die Nachrichten vom Feinde werden dieſen oft nur modifizieren.
Der weltgeſchichtliche Kampf begann am frühen Morgen mit dem hart— näckigſten Ortsgefecht des Krieges. General v. der Tann, der Führer des 1. Bayeriſchen Armeekorps, wollte ſich vor Beginn der Schlacht unbemerkt in Beſitz von Bazailles ſetzen, das am Abend frei vom Feinde gemeldet war. Da ſich jedoch in der Nacht das 3. Marine-Infanterieregiment im Nordteile zur Verteidigung eingerichtet hatte, kam es im Dorfe zum Zuſammenſtoß. Es fehlte alſo der bei den meiſten Ortsgefechten wichtigſte Teil, der Kampf um den Ortsrand, er war lediglich ein Ringen um die einzelnen Abſchnitte und Gehöfte. Eine Mitwirkung der Artillerie war daher ausgeſchloſſen. 634 Stunden dauerte der mit größter Erbitterung und wechſelndem Erfolge geführte Kampf, bei dem Deutſcherſeits allmählich die Infanterie von etwa UA Armeekorps eingeſetzt werden mußte.
Schreitet man durch die jetzt ſo friedlichen Straßen des gar nicht beſonders großen Ortes, ſo begreift man nicht, wie der Kampf derartige Maſſen von Streitern verſchlingen konnte.
Das Exerzier-Reglement warnt davor, in einem Orte ſelbſt zu ſtarke Kräfte aufzuhäufen. Dieſe Warnung iſt ſicherlich berechtigt, wenn es dem
) Vergl. hier und bei den folgenden Gefechtsſchilderungen, denen beſondere Skizzen nicht beigegeben ſind, die betr. Karten des Generalſtabswerkes über den Feldzug 1870/71.
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Angreifer möglich iſt, die Entſcheidung außerhalb der Ortſchaft herbeizu— führen, oder ſolange der Kampf um den Ortsrand tobt und der Angriff durch Artilleriefeuer gehörig vorbereitet werden kann. Handelt es ſich aber um das letzte Stadium, den Kampf um die Abſchnitte und Gehöfte, dann wird die Zahl von ausſchlaggebender Bedeutung ſein.
Maſſive Ortlichkeiten werden genau wie früher häufig zu Brennpunkten des Gefechts werden. Es iſt deshalb ſehr bedauerlich, daß im Frieden ſich ſo ſelten die Gelegenheit bietet, einen Ort zur Verteidigung einzurichten. Vielleicht ließen ſich die noch auf den Truppenübungsplätzen befindlichen ausgekauften Dörfer dauernd erhalten und in verſchiedener Weiſe einrichten, ſo daß die Truppen ſie wenigſtens ab und zu beſetzen können. —
Während des Kampfes um Bazailles war die Maas⸗Armee in das Ge⸗ fecht an der Givonne eingetreten und hatte den Feind auf den weſtlichen Höhenrücken zurückgedrängt. Das V. und XI. Armeekorps ſollten den Ring durch Marſch weſtlich um den nach Norden ausſpringenden Maasarm ſchließen, ſie erlitten aber durch Mißverſtändniſſe Marſchkreuzungen, die ebenſo wie am 18. Auguſt beim Garde- und XII. Armeekorps erheblichen Aufenthalt verurſachten.
Das Überwinden von Marſchkreuzungen durch Aufmarſchieren und wechſelſeitiges Paſſieren der Lücken im Laufſchritt und Trabe iſt ein Teil der Marſchtechnik. Wenn im Frieden grundſätzlich entſprechend verfahren würde, würde im Kriege a verhängnisvoller Aufenthalt vermieden werden können. —
Mittags hatten das XI. und V. Armeekorps den Raum zwiſchen Maas und Givonne ausgefüllt, die Armee von Chalons war auf ein Quadrat at: ſammengedrängt, deſſen Seiten knapp 3 km lang waren.
Man iſt verblüfft über die Enge dieſes Raumes, in dem nun die Armee mit allen Trains und Kolonnen, eine ſchwer bewegliche, unbeholfene Maſſe, ſtand. Ihre Leitung wurde noch dadurch erſchwert, daß bei den großen und wechſelnden Formen des Geländes die Wege an vielen Stellen tief ein, geſchnittene Hohlwege bilden, tatſächliche Defileen für den Verkehr.
In dem ungleichen Kampfe ſcheint mir derjenige der Deutſchen Artillerie von beſonderem Intereſſe zu ſein.
71 Batterien richteten von drei Seiten ihr vernichtendes Feuer plan- mäßig gegen die Franzöſiſchen Stellungen und das dahinter gelegene Gelände, ſo daß die Reſerven und die Kavallerie empfindlich litten, bevor ſie in das Gefecht traten.
Und doch fanden, abgeſehen von der Artillerie der 7., der Württem— bergiſchen und der Kavalleriediviſionen, ſowie der Korpsartillerie des IV. Armeekorps, nicht weniger als 24 Batterien keinen Platz, es erging ihnen ſo wie der Deutſchen Artillerie bei Wörth, Gravelotte und Beaumont.
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Hätten die Armeekorps 1870 ebenſoviel Artillerie gehabt wie fett, 10 hätten dieſelben Verbände 109 Batterien — etwa 606 Geſchütze nicht zum Feuern bringen können.“)
Da die Infanterie eines Armeekorps nicht vermehrt iſt und die Grund— ſätze des Reglements über die Breitenausdehnung ſich vorläufig nicht weſent— lich geändert haben, ſo ſcheint es ſehr fraglich, ob ein Führer immer Ge— legenheit haben wird, ſeine ſtarke Artillerie ſo auszunutzen, wie er es möchte. Vielleicht aber werden manchmal und zwar beſonders auf einem Kriegs— ſchauplatze, der unüberſichtlich und der Verwendung der Artillerie ungünſtig iſt, die Nachteile wie die Verlängerung der Marſchkolonnen, die Ver— mehrung der Kolonnen und Trains, die ſchwierigere Unterkunft und Ver— pflegung, ihm Sorge bereiten. —
Die berühmten Attacken der Kavalleriediviſion Margueritte nahmen ihren Weg vom Bois de la Garenne in allgemeiner Richtung St. Menges und Floing.
üppige Weizenſchläge bedeckten, als ich dort war, die Hänge — übrigens eine Mahnung, daß der ſtehend freihändige Anſchlag ſeine Streichung aus den Hauptübungen des Schulſchießens als unkriegsgemäßer Anſchlag vielleicht nicht verdient hat.
General Ducrot wollte nicht nur die Kavalleriediviſion Margueritte, ſondern die geſamte Kavallerie zum Durchbruchsverſuche einjeten. Der größte Teil war aber bereits infolge des Deutſchen Artilleriefeuers auf Sedan zurückgeflutet, außerdem fehlte es an Entwicklungsraum.
So ritten dieſelben Reiter unter Gallifets Führung, der nach Mar— guerittes tödlicher Verwundung das Kommando übernommen hatte, dreimal
* Zahl der Nach jetziger O 3 ; Mehr gegen 1870,71 Truppenverband nicht „ ſchwere hätten keinen verwendeten] Feld— Kee ee Geſchütze geſchütze 5a 1 S ! jammen ` Pas ge
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XI. Armeekorps... 60 | 16 76 76 I. Bayer. Armeekorps. 48 16 641
i a A 206 II. Bayer. Armeekorps. 18 16 64 1 Gardekor[rfr8s8s8s . 54 16 70 70 XII. Armeekorps... 18 16 64 118 8. Jufanteriediviſion .. 48 — 48 48
Zuſammen ... 606 Geſchute
Dieſe Zahlen ſollen nur einen Überblick geben, tatſächlich würden an manchen Stellen zwei Artillerielinien hintereinander Platz gefunden haben, beſonders gilt dies von den ſchweren Feldhaubitzen.
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hintereinander denſelben Todesritt. Er vermochte das Schickſal der Kaiſer— lichen Armee nicht aufzuhalten, die Kavallerie opferte GE wie Ducrot dem Führer zurief, für die Waffenehre. |
Ich hatte mich am heißen Nachmittage auf dem Calvaire d'Illy neben Marguerittes Grab geſetzt und ſuchte mir den Weg der Attacken zu ver— gegenwärtigen. Kein Menſch weit und breit, Ruhe und Frieden an der Stätte, wo der erbitterte Kampf getobt hatte, wo eine mächtige Monarchie in den Staub ſank. Dort, den Hang hinunter, mußten — ein maleriſches Bild — die Chaſſeurs d' Afrique und Huſaren gejagt ſein, dann weiter über die Chauſſee . . .. Da plötzlich tönt das Donnern zahlreicher Pferdehufe auf felſigem Boden an mein Ohr. Ich fahre zuſammen, als müßten das Gallifets Reiter ſein! — Ein Dragonerregiment war auf der Straße nach Illy bis dicht an mich herangekommen und hatte ſich plötzlich in Trab geſetzt. Eine Felddienſtübung auf hiſtoriſchem Boden.
Beim Anblick der nach Oſten mächtigen Givonneſtellung mußte ich daran denken, daß eine im Fußgefecht gut ausgebildete und entſprechend angezogene moderne Kavallerie der Franzöſiſchen Armee von großem Nutzen hätte ſein können, wenn Mac Mahon ſich am Abend des 31. Auguſt zum Rückzuge auf Mezieres entſchloſſen hätte.
Wären die Brücken über Maas und Givonne abgebrochen, Bazailles und die Höhen bis Illy von 1 bis 2 Infanterie- und den 4 Kavalleriediviſionen beſetzt geweſen, ſo wäre unzweifelhaft der Maas-Armee ein langer Aufenthalt bereitet worden. Mac Mahon hätte ſich dann mit 11 bis 12 Divi— ſionen auf die 5 Diviſionen ſtürzen können, über die die Deutſche Heeres— leitung weſtlich Sedan verfügte.
Ich glaube, daß eine entſchloſſen und kühn geführte Kavallerie trotz der verbeſſerten Feuerwaffen noch immer große Erfolge durch die Attacke erringen kann. Es gibt aber Schlachten, in denen ſie zu Pferde zur Un— tätigkeit oder nutzloſen Aufopferung verdammt iſt, in denen ihr Eingreifen mit dem Karabiner aber von ausſchlaggebender Bedeutung ſein kann.
Darum ſcheint mir die Forderung gerechtfertigt, daß eine moderne Kavallerie geübt ſein muß, auch in großen Verbänden zu Fuß zu fechten. Vielleicht iſt es ratſam, ihr hierfür mehr Zeit zur Ausbildung zu gönnen umd ſie in anderer Beziehung zu entlaſten, was möglich wäre, wenn ihr Bedarf an techniſchen Hilfsmitteln von den Pionieren oder Verkehrstruppen geſtellt würde.
Die im Gefecht vielſeitige Kavallerie im Atera fc Sczeſſions— kriege kann uns in mancher Beziehung zum Vorbilde dienen. —
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Bei Amiens, der ſchönen Hauptſtadt der Picardie mit ihrem wunder: vollen, lichtdurchfluteten Dom, wurde im Winter zweimal gekämpft.
Die erſte eigentliche Schlacht von Amiens am 27. November iſt beſonders von dem Standpunkte aus intereſſant, wie der Deutſche Führer den Kampf am zweckmäßigſten hätte vorbereiten können.
Die Preußen hatten die Unterkunftsbezirke am 26. von Süden her er—
reicht; der größte Teil des I. Armeekorps war noch ſo weit zurück, daß er bei.
einem Kampfe am 27. nicht zur Stelle ſein konnte.
Schwächere Franzöſiſche Abteilungen waren vor den Deutſchen zurück— gegangen. Sie gehörten zum 22. Armeekorps, das mit drei gemiſchten Brigaden bei Amiens verſammelt war. Ihr Führer, General Farre, hatte beſchloſſen, mit ihnen die Höhen ſüdlich der Somme und öſtlich der Avre zu halten und mit der aus 8000 Mobilgardiſten beſtehenden Garniſon von Amiens die Verſchanzungen ſüdlich der Stadt zu beſetzen.
General v. Manteuffel folgerte aus dem Verhalten des Feindes, daß er ſich auf die unmittelbare Verteidigung von Amiens beſchränken werde, und beſchloß, am 27. November näher an die Stellung der Franzoſen heranzugehen, hierbei die Front der Armee zu verkürzen und am 28. zum Angriff zu ſchreiten.
Er befahl, daß das VIII. Armeekorps, unter Sicherung ſeiner linken Flanke, zwiſchen Noye und Celle Stellung nehmen und mit Avantgarden von Fouencamps und Höbécourt aus beobachten ſolle. Das I. Armeekorps erhielt den Auftrag, ſeine Hauptkräfte bis an die Luce vorzuſchieben. Es ordnete ſeinerſeits an, daß die Avantgarde zwiſchen Marcelcave und Gen— telles Stellung zu nehmen habe. Die Avantgarde ging am 27. früh in drei Kolonnen vor.
Der Kampf, der an dieſem Tage vermieden werden ſollte, entbrannte und zwar in vielen auf 25 km auseinandergezogenen Gruppen. Die höhere Führung hatte faſt keine Einwirkung, der Ausgang blieb dem Zufall über— laſſen.
Trotzdem auf Deutſcher Seite 28 Eskadrons zur Verfügung ſtanden, denen der Gegner nur 4 entgegenſtellen konnte, hatte am 26. die Auf— klärung völlig verſagt. |
Das Problem der Nahaufklärung iſt auch jetzt noch nicht gelöſt. Es ift charakteriſtiſch, daß die Japaner als beſten Nahaufklärer den Chineſiſchen Spion bezeichnen. Da wir uns ohne dieſen zu behelfen haben, wird die In— fanterie die Schweſterwaffe unterſtützen müſſen. Hier hätten aus der ganzen langen vorderſten Linie auch Infanteriepatrouillen vorgeſchoben werden können.
Hätte der Preußiſche Führer etwas von der ſtarken Beſetzung der Dörfer und Wälder zwiſchen Somme und Luce oder von Verſchanzungen ſüdlich und öſtlich Villers Bretonneurx erfahren, fo würde er wohl anders disponiert haben.
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Aber auch jo zeugen ſeine Maßnahmen von einer gewiſſen Unter— ſchätzung des Gegners. General v. Manteuffel wollte den 27. lediglich be— nutzen, um ſeine Truppen für einen Angriff am 28. zu verſammeln und zu gruppieren.
Um dieſen Zweck zu erreichen, wäre möglichſtes Abbleiben vom Feinde und Zuſammenziehen der Hauptkräfte an die Avantgarde des 1. Armee— korps heran erforderlich geweſen.
Die Notwendigkeit, am 28. den Luce-Bach zu überſchreiten, legte aller: dings den Wunſch nahe, die Übergänge in die Hand zu bekommen. Man hatte ſie durch Beſetzung des nördlichen Höhenrandes, jedes weitere Vor— gehen war zu vermeiden.
Amiens gegenüber genügte eine ganz ſchwache Beobachtungsabteilung.
Die Gruppierung der Kräfte vor einer Schlacht ſcheint mir eine der ſchwierigſten Aufgaben der Führung zu ſein. Die Schwierigkeiten wachen ` mit der Größe der Armeen. Eine Verſchiebung der Streitkräfte am Schlachttage ſelbſt wird häufig zu ſpät kommen. Vor dem Anmarſch zum Gefecht, in Ungewißheit über des Feindes Maßnahmen, muß ſie oft er— folgen. Eine gleichmäßige Ausnutzung des Straßennebes iſt dann in vielen Fällen nicht möglich. Trob aller techniſchen Schwierigkeiten wird man ſich, wenn der Zweck nicht anders erreicht werden kann, nicht ſcheuen dürfen, zum Anmarſch nach der entſcheidenden Stelle auch einmal zwei Armeekorps auf eine Straße zu ſetzen, während man da, wo man hinhalten, beſchäftigen will, in kurzen Kolonnen marſchiert.
Derjenige Feldherr, der die Kunſt der Kräfteverteilung ſo meiſterhaft verſteht, wie Friedrich der Große mit den Mitteln ſeiner Zeit, wird auch jetzt noch mit Unterlegenheiten glänzende Siege erfechten. Es wird ihm glücken, eine überlegenheit da zu verſammeln, wo die Entſcheidung liegt.
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Die Schlacht an der Hallue brachte den Preußen den Kampf um eine vorbereitete Stellung.
General Faidherbe ſtand mit der neugebildeten Nord-Armee ſeit dem 17. Dezember in dem Gelände zwiſchen Somme und Hallue.
Ihm gegenüber vereinigten die Preußen bis zum 22. Dezember in und bei Amiens das VIII. Armeekorps, die 3. Infanteriebrigade, die 3. Naval: leriediviſion und einige Bataillone des J. Armeekorps. General v. Man— teuffel hielt dieſe Kräfte für ausreichend zum entſcheidenden Schlage und wartete die in wenigen Tagen eintreffende 3. Reſervediviſion und 4. Garde— Kavalleriebrigade nicht ab. Er befahl für den 23., daß das VIII. Armee— korps mit der 15. Infanteriediviſion auf den Straßen nach Corbie und Albert vorgehen, den Feind über die Hallue werfen, in der Front feſthalten und mit der 16. Infanteriediviſion, nördlich herumgreifend, den rechten
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Deutſchen am 23. 12. früh. Deutihe 29 000 Mann, 2500 Pf., 108 Geſch
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Lage am 22. 12. abds. und Marſchrichtung der
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feindlichen Flügel umfaſſen ſollte. Erſt, wenn dieſe Umfaſſung fühlbar jet, ſollte die 15. Infanteriediviſion die Höhenſtellung jenſeit der Hallue an- greifen.
Die Franzoſen hatten mit dem 22. Armeekorps eine verſtärkte Stellung auf dem öſtlichen Ufer von Vadencourt bis Daours bezogen. Das 23. Armeekorps ſtand in zweiter Linie über die ganze Front verteilt, mit ſeinen Hauptkräften hinter dem linken Flügel bei Corbie.
Der Angriff traf die Front zwiſchen Vecquemont und Beaucourt.
Die Dispoſitionen des Preußiſchen Führers gingen von dem richtigen Grundſatze aus, den in ſtarker Stellung erkannten Feind in der Front an— zupacken, die Entſcheidung aber durch Angriff ſeines rechten Flügels herbei— zuführen.
Da General v. Goeben, der Führer des VIII. Armeekorps, ſeine Korpsartillerie gleichmäßig auf beide Diviſionen verteilte und die 3. Zen, fanteriebrigade als Armeereſerve der 15. Infanteriediviſion folgte, waren nun in der Front, wo man abwarten wollte, ſtarke Kräfte vereinigt, während der Umfaſſungsflügel, der die Entſcheidung bringen ſollte, ſchwächer war.
Vielleicht hätte für den Nebenzweck die 3. Infanteriebrigade genügt, ſo daß das ganze VIII. Armeekorps zum umfaſſenden Angriffe zur Ver— fügung ſtand. Allerdings lag die, in Einſchätzung der geringen Offenſiv— kraft der Franzoſen aber nicht ſehr große Gefahr vor, daß die Brigade von feindlicher Überlegenheit angefallen und erdrückt wurde.
Nur durch einen ſtarken Flankenangriff konnte man aber einen ent— ſcheidenden Sieg ſtatt ein frontales Zurückdrücken des Feindes erringen. Dieſe Ausſicht war eines Einſatzes wert. Wagram und Regensburg ſind Beiſpiele, wie Napoleon über derartige Opfer dachte.
Das Franzöſiſche Generalſtabswerk iſt der Anſicht, daß General v. Manteuffel am richtigſten disponiert haben würde, wenn er ſeinen ent— ſcheidenden Angriff über Daours angeſetzt hätte, weil im oberen Laufe der Hallue bei Contey die weſtlichen Höhen etwas zurücktreten, fo daß die über— legene Deutſche Artillerie dort keine günſtigen Stellungen gefunden hätte. Bei Daours überragen aber die weſtlichen Höhen die öſtlichen, und infolge des Bogens der Somme iſt für den Angreifer eine gewiſſe flankierende Wirkung möglich. Außerdem hätte der Angriff früher erfolgen können, was bei dem kurzen Wintertage wichtig geweſen wäre.
Ich habe dieſen Eindruck nicht gehabt, glaube vielmehr, ein Angriff uber Daours, der des Entwicklungsraumes wegen ſich doch über Bußy und bis Querrieux, alſo in der Front hätte erſtrecken müſſen, wäre ſehr ſchwer geweſen, beſonders wenn der Verteidiger gehörige Geländeverſtärkungen angelegt hätte, wie erwartet werden mußte, da er eine Woche Zeit gehabt hatte.
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ci . 14 *. I. K.
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Die Ausnutzung des 23. ſpricht meines Erachtens nicht mit, dieſer Tag wäre am zweckmäßigſten überhaupt nicht zur Durchführung des Angriffes, ſondern nur zum Anmarſch und den Vorbereitungen benutzt worden, denn irgend ein Grund zur Beſchleunigung lag nicht vor. Im Gegenteil, einen Vorteil vom Zeitgewinn konnte hier nicht der Verteidiger, ſondern lediglich der Angreifer haben, der in den nächſten Tagen Verſtärkungen erhalten mußte. |
Nähert man ſich von Amiens aus der Hallue, fo ſieht man von den im Tale liegenden Crtſchaften nur die Kirchtürme, deren Spitzen über den weſtlichen Höhenrand ragen.
Die Ortſchaften und zum Teil auch der weſtliche Höhenrand waren als
vorgeſchobene Stellungen mit Schützen beſetzt.
Gegen Querrieux entwickelten ſich nun die Hauptkräfte der 15. In⸗
fanteriediviſion. Wie am 18. Auguſt die Franzöſiſche Vorſtellung bei St. Hubert, ſo zog die bei Querrieux den Angreifer an, er drang in Maſſen in das Dorf und das auf der andern Seite der Hallue im Grunde liegende Pont Noyelles ein, um dann mühſam Schutz gegen das aus der Hauptſtellung auf ihn gerichtete konzentriſche Feuer zu ſuchen. Das deckungsloſe Wieſengelände im Hallue— grunde erſchwerte ein ſeitliches Ausbreiten. Das 28. Infanterieregiment, das in Richtung Frechencourt gezogen werden ſollte, konnte dieſe Bewegung nicht ausführen, es mußte Front machen.
Die bei uns ſehr in Verruf befindlichen vorgeſchobenen Stellungen ſind durch das neue Exerzier-Reglement etwas rehabilitiert worden, ſie finden wenigſtens Erwähnung als Mittel zum Zeitgewinn. |
Da die Franzoſen ausgeſprochene Freunde von vorgeſchobenen Stellungen ſind, iſt es vielleicht nützlich, ſich über die drei Arten derſelben klar zu werden. Das Reglement macht eine Unterſcheidung nicht, es fallen ihnen aber im Grunde weſentlich verſchiedene Aufgaben zu, die allerdings manchmal ineinander übergehen. Sie können ſein:
1. weit vorſpringende Teile der Hauptſtellung, gewiſſermaßen Kapon— nieren, an deren Feſtigkeit ſich der Sturm des Angreifers brechen ſoll und aus denen die ſchwächere Front flankiert werden kann;
2. mit der Hauptſtellung gar nicht in Verbindung ſtehende weit vor— geſchobene Beſetzungen. Ihre Hauptaufgabe iſt Zeitgewinn. Die Kampf— bedingungen werden denen von Vorpoſten⸗ oder Arrieregardeſtellungen ähn— lich ſein. — Dieſe beiden Arten werden wir an der Liſaine finden;
3. wie hier, Beſetzung von wichtigen Punkten dicht vor der Haupt— ſtellung, die zwar durch Feuer aus dieſer unterſtützt werden können, aber nicht ernſthaft gehalten werden ſollen. Erſt in zweiter Linie dienen ſie zum Zeitgewinn, hauptſächlich ſollen ſie die Angriffsdispoſitionen des
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Feindes ſtören und ihn in eine falſche Richtung ziehen. — Dieſe Aufgaben erfüllte die Beſetzung von Querrieur zum Nachteil des Angreifers.
Vergeblich bemühten ſich die Deutſchen aus dem Talgrunde heraus Gelände zu gewinnen; alle Angriffe wurden blutig zurückgewieſen.
Nach 4 Uhr hielten die Franzoſen die Zeit für gekommen, um die Früchte ihrer zähen Verteidigung zu ernten, auf der ganzen Linie fanden heftige Gegenſtöße ſtatt, die aber alle ſchließlich zurückgewieſen wurden. Sn ihnen erſchöpften die Franzoſen ihre Kraft.
Auf der Höhe von Pont Noyelles traf ich einen alten Mann, der mir erzählte, er habe die Schlacht mitgemacht, und zwar habe er in der Schützen— linie nördlich der Chauſſee gelegen. Trotz der Kälte ſei es zuerſt ganz nell geweſen, beſonders als man immer auf die unten im Tal befindlichen Klumpen hätte ſchießen können, aber als ſeine Kompagnie auf dem kahlen Berghange zum Gegenſtoß herabſtieg, hätte ſie ſchreckliches Feuer be— kommen, er ſelbſt ſei mehrfach verwundet worden. Wenn wir das nicht getan hätten, meinte er, hätten wir geſiegt. — Vielleicht hatte der Mann Recht.
Dieſe Art der Offenſivverteidigung ſcheint mir typiſch für alle Defenſiv— ſchlachten der Franzoſen zu ſein. Wir werden ſie in einem künftigen Kriege nicht nur bei unſerm weſtlichen Nachbar, ſondern überall finden, wo tapfere Unterführer glauben, einen Vorteil ausnutzen zu können.
Auch unſer Reglement reizt — allerdings nur ſcheinbar — dazu an, wenn es ſagt,
„zum Angriff aus der Front wird der Verteidiger erſt übergehen dürfen, wenn er den Sturm abgeſchlagen und die Feuerwaffe ausgenutzt hat, oder wenn es ſich darum handelt, den vor der Stellung zu Boden ge— zwungenen Gegner zu vertreiben“.
Dieſe Vorausſetzungen waren auch bei den Franzöſiſchen Gegenangriffen erfüllt, es war aber überſehen, daß eine Truppe, deren Offenſivkraft zwar erlahmt iſt, doch noch zum zähen Feſthalten des errungenen Geländes befähigt ſein kann. Verzettelte frontale Vorſtöße ſind daher eine große Gefahr. Freiwillig begibt der Verteidiger ſich aus einer u Lage in eine ungünſtige.
Die Offenſive aus der Verteidigung muß meines Erachtens das Privi— legium der höheren Führung bleiben. Sie ſichert ſich dieſes am beiten dadurch, daß die Verteidigungstruppen nur ſo ſtark gemacht werden, daß ſie für die defenſiven Aufgaben genügen, alle anderen Kräfte aber als Reſerven zurückbehalten werden. Dieſe ſind dann verfügbar zum planmäßigen ein— heitlichen Angriff. Ä
In dieſem Sinne neunt Clauſewitz die Verteidigung die ſtärkere Form der Kriegführung. Sie iſt „ein Schild, gebildet durch geſchickte Streiche“, bei denen „der Verteidiger durch Form und Stärke ſeiner Anfälle zu überraſchen mehr im Stande iſt“.
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In Zukunft wird eine derartige Kräfteverteilung als Vorbereitung der Offenſivverteidigung durch ſachgemäße Verwendung der modernen Nach— richtenmittel erleichtert werden können. —
Ermattet lagen am Abend die Gegner ſich gegenüber, keinem war es gelungen, den anderen zu beſiegen, und auch am nächſten Tage fühlten beide ſich unfähig zu erneuter Offenſive.
Die Franzoſen räumten am 24. freiwillig das Gefechtsfeld, die Schlacht wurde dadurch zu einem Deutſchen Siege. Die Diſziplin und der innere Zuſammenhalt der an Zahl ſchwachen aber feſt gefügten Truppen, die kampfesfreudige Energie des Generals v. Manteuffel behielten das Über— gewicht über die neu zuſammengeſtellten, lockeren Franzöſiſchen Verbände, denen der eigene Führer eine Offenſivkraft nicht recht zutraute.
Die Schlacht von St. Quentin, die größte auf dem nördlichen Kriegsſchauplatze, zeigt uns einen Durchbruch der Mitte der Franzöſiſchen Stellung, die von der nur auf den Brücken paſſierbaren Somme in zwei Teile geteilt wurde. Außerdem gibt ſie einen intereſſanten Beitrag zur Frage des Entwicklungsraumes im Angriff.
Von Eſſigny le Grand zieht ein Höhenrücken in Richtung Ferme Patte —Contescourt. Schreitet man von ihm auf die in der Ferne ſichtbare ge— waltige Kathedrale von St. Quentin zu, ſo kommt man nach Paſſieren eines tief eingeſchnittenen Tales auf einen zweiten halbkreisförmigen Rücken, der von Itancourt über Cornet d'or auf Giffécourt läuft. Parallel zu ihm, wiederum durch ein von einem Bach durchfloſſenes Tal getrennt, zieht ſich ein dritter, die anderen beiden überragender Höhenzug von La Neuville über Moulin de tous Vents nach Gauchy. Auf dieſen drei Höhenzügen hatte ſich das, die Verteidigung auf dem öſtlichen Sommeufer führende 22. Armee— korps geſtaffelt, ſein rechter Flügel bei Contescourt und Ferme Patte war weit vorgeſchoben.
Dieſe vorgeſchobene Stellung entbehrte aber der nötigen Feſtigkeit, ſie mußte fallen, als ſie von Süden und Südoſten flankierend energiſch an— gegriffen wurde. Nachdem dann auch Caſtres genommen und der Fran— zöſiſche rechte Flügel ſich auf der Windmühle ſüdlich Giffécourt feſtgeſetzt hatte, wurde dieſe durch Vorſchieben des Infanterieregiments 41 vom Süd— weſtrand der Höhe aus flankiert und ebenfalls genommen.
Der frontale Durchbruch wurde alſo ermöglicht durch örtliche Flan— fierung.
Es leuchtet ein, daß die Franzoſen mit ganz anderer Ausſicht auf Erfolg die Verteidigung hätten führen können, wenn ſie eine verſtärkte Stellung nur auf dem nördlichſten Höhenrücken von Gauchy bis La Neuville genommen hätten. |
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Die 5 km breite Front ut jo ſtark, daß eine Diviſion für ihre Verteidi- gung genügt hätte. General Faidherbe hätte dann eine Diviſion mehr auf der weſtlichen Hälfte des Schlachtfeldes einſetzen und vielleicht einen Sieg erringen können. Tatſächlich wurde am Morgen der Schlacht in dieſem Sinne noch ein Befehl an das 22. Armeekorps gegeben, der aber nicht angekommen iſt. Es hielt ſich infolgedeſſen an die Anordnungen des Armee⸗ Oberkommandos vom 18. abends.
Die Infanterie des Preußiſchen Angriffes nahm einen Raum von bei— nahe 18 km ein, es kamen bei einer Gefechtsſtärke von 27 000 Gewehren ein- ſchließlich aller Reſerven auf das Meter etwa 123 Gewehre, auf 6000 Ge- wehre 4 km.
Eine derartige Ausdehnung konnte der kriegserfahrene General v. Goeben in richtiger Einſchätzung des inneren Wertes des Feindes ſeinen Truppen wohl zuweiſen. Im allgemeinen werden die Wechſelfälle eines Angriffes, wenigſtens an den Stellen, wo die Entſcheidung geſucht wird, eine größere Tiefengliederung und entſprechend ſchmaleren Entwicklungs— raum verlangen.
Das Reglement ſteht auf dem grundſätzlichen Standpunkte, daß die Ausdehnung nach Gefechtszweck und Gelände eine ſehr verſchiedene ſein kann, und gibt nur als „Anhalt“ für den Angriff einer Brigade auf einen zur Verteidigung entwickelten Feind etwa 1500 m an und zwar wohlverſtanden einſchließlich der für Durchführung des Angriffes nötigen Reſerven.
Die Beſtimmung der Ausdehnung iſt im einzelnen Falle alſo lediglich dem Führer überlaſſen.
Es iſt zu hoffen, daß die angegebene Zahl nicht entſprechend der menſch— lichen Neigung, ſich an etwas Greifbares zu halten, aber entgegen dem Sinn und Wortlaut des Reglements zu einem Schema ſich ausbilden möge.
Eine Frontbreite von 1500 m erlaubt einer Brigade von 6000 Gewehren bei vollſter Ausnutzung des Raumes die Entwicklung von 1500 Schützen zur Führung des Feuerkampfes. Erleiden ſie DU noen, alſo ungeheuer hohe Verluſte und werden dieſe erſetzt, jo bleiben immer noch 3750 Mann als Rückhalt und für den Bajonettkampf übrig; mehr wie 250 Gewehre zum Feuern zu bringen, iſt ausgeſchloſſen.
Die rationelle Benutzung des Geländes, beſonders im Vorgehen, iſt bei einer jo dichten Schützenlinie ſehr ſchwierig, das Freilaſſen dedungslofer Räume ausgeſchloſſen. Will oder muß man dies aber tun, ſo nutzt man die Feuerkraft der Infanterie noch weniger aus.
Mir ſcheint deshalb, daß ein moderner Angriff mehr Licht und Quft braucht wie früher, und daß wir in Zukunft nach Goeben'ſchem Beiſpiele im allgemeinen zu größeren Ausdehnungen kommen werden, wie wir gemeinhin annehmen. Die Artillerie wird dann erſt darauf rechnen können, daß es ihr nicht geht wie bei Sedan, daß ſie nicht nur notdürftig Platz findet, ſondern
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die Vorteile einer gruppenweiſen, dem Gelände angepaßten Aufſtellung und dadurch eine größere Wirkung erlangt. Das ſchließt nicht aus, daß an manchen Stellen, zum Beiſpiel in unüberſichtlichem Gelände oder im Kampf gegen ſtark beſetzte maſſive Ortlichkeiten man ſich ſogar enger gliedern muß.
Eine verſchiedene Ausdehnung je nach Gefechtszweck und Gelände bietet, beſonders wenn man nicht an Zahl überlegen oder wenn man gar ſchwächer iſt, meiſt die einzige Möglichkeit, den beiden Hauptforderungen des An⸗ griffes, Ausnutzung der Feuerkraft und Durchführung der Entſcheidung in tiefer Gliederung gerecht zu werden.
Die Grundſätze für die Kräfteverteilung in der Defenſive finden wir in vorbildlicher Weiſe in der Schlacht an der Liſaine Deutſcherſeits angewandt.
Die vom General v. Werder gewählte Stellung hatte, abgeſehen von Detachierungen, zwiſchen Frahier und Montbéliard eine Ausdehnung von etwa 20 km. Zur Verfügung ſtanden nach Heranziehung aller beim Be- lagerungskorps entbehrlichen Teile im ganzen etwa 45000 Mann mit 146 Geſchützen, es kamen alſo auf das Meter der Front etwas mehr wie 2 Mann aller Waffen, alſo ziemlich wenig, beſonders wenn man bedenkt, daß ein großer Teil der Beſetzung aus Landwehrtruppen beſtand.
Die Ausdehnung war aber nötig, denn der linke Flügel mußte ſich an Allaine und Doubs anlehnen, weil dort der Schwerpunkt des Vormarſches der Franzöſiſchen Oſtarmee lag, die mit ihrem Nachſchube auf die Eiſenbahn Béſançon— Montbéliard angewieſen war. Jede Entfernung von dieſer mußte bei der mangelhaften Organiſation des Fuhrweſens Schwierigkeiten hervorrufen. Anderſeits wurde die Belagerung von Belfort am meiſten bedroht durch Umfaſſung auf der großen Straße Veſoul— Lure, auf der ſtarke Kräfte feſtgeſtellt waren.
Die Stellung ſelbſt lief auf dem öſtlichen Ufer. Nur ein Teil der Ort- ſchaften des weſtlichen Ufers und das auf ſteilem Felſen gebaute maleriſche Schloß Montbéliard waren in die Verteidigung einbezogen. Sie waren alſo im Gegenſatz zu den Dörfern an der Hallue Teile der Hauptſtellung.
Für eine offenſive Verteidigung der ausgedehnten Stellung reichten die Kräfte Werders nicht aus, er mußte ſich auf die reine Defenſive be- ſchränken.
Er formierte an den Hauptanmarſchſtraßen des Gegners Gruppen, die ihre Kräfte zuſammenhielten und die Front ſelbſt nur ſchwach be— ſetzten. So kamen auf die 4 km lange Strecke des öſtlichen Ufers zwiſchen Hericourt und Montbéliard nur 2 Landwehrbataillone. Durch Telegraph und ein ausgedehntes Relaisſyſtem war für ſchnelle Nachrichtenübermittlung innerhalb der Stellung geſorgt, ſo daß trotz mangelhafter Verbindungswege eine Verſtärkung aus den Reſerven überall rechtzeitig möglich war.
Beiheft z. Mil. Wochenbl. 1908. 1. Heft. 4
50 Jede Verzögerung des Angreifers war hier ein Gewinn für den Ver⸗
teidiger. Nicht nur mußten die Märſche und Anſtrengungen bei der kalten und ſchneeigen Witterung den inneren Halt der loſe gefügten Franzöſiſchen Ver⸗
bände erſchüttern, ſondern die Einwirkung des von Nordweſten gegen
Skizze 3.
Vorstellung bei Arcey, Ste. Marie und Chavanne am 13.1. 1871. Lage am 12. I. abds.
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Béſançon mit dem II. und VII. Armeekorps vorrückenden Generals v. Man⸗ teuffel mußte täglich mehr die Entſchließungen Bourbakis lähmen.
Um ihm Aufenthalt zu bereiten, entſandte General v. Werder Detache⸗ ments in der Geſamtſtärke von 6—2—3 nach Chavannes, Arcey und Ste. Marie mit dem Auftrage, dem Feinde einen jo ernſten Widerſtand ent, gegenzuſetzen, daß er größere Kräfte entwickeln müſſe, um Terrain zu ge-
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winnen. Wir haben alſo hier die dritte Art der vorgeſchobenen Stellungen, die vollkommen auf ſich angewieſen, ganz losgelöſt von der Hauptſtellung iſt.
Trotzdem das Gelände die Aufgabe der Detachements nur bei Chavannes erleichterte, gelang es am 13. Januar den ſechs Bataäillonen ebenſo viele Franzöſiſche Diviſionen zur Entwicklung ihrer Kräfte zu veranlaſſen und aufzuhalten.
Die Detachements kamen, allerdings begünſtigt durch zögernde Maß⸗ nahmen des Feindes und die Gunſt des Rückzugsgeländes, gut ab.
Die moderne Geländeausnutzung, die beſtrebt iſt, die Truppen zu ver⸗ bergen, und unſere weittragenden Waffen erleichtern die Aufgaben vor⸗ geſchobener Abteilungen. Sie können, da ſie keinen Entſcheidungskampf durchführen ſollen, ſich ſehr weit ausdehnen. Dem Gegner wird es ſchwer werden, über ihre Stärke Klarheit zu gewinnen. Sie werden deshalb in ähnlichen Lagen wie an der Hallue und der Liſaine auch in Zukunft mit Nutzen Verwendung finden können. Allerdings verlangen ſie eine geſchickte Führung und günſtiges Gelände. Die bei uns übliche grundſätzliche Ver⸗ werfung vorgeſchobener Stellung erſcheint mir aber nicht gerechtfertigt.
Bourbaki glaubte, daß der rechte Deutſche Flügel ſich an den Mont- Vaudois nördlich Hericourt anlehne. Er gab daher folgende Angriffs-
richtungen: 15. Armeekorps Montbeliard,
24. - Bußurel, 20. > Hericourt, 18. s Couthenans⸗Chagey,
Diviſion Cremer 2 km nördlich Chagey. Das 24. und 20. Armeekorps ſollten abwarten, bis die beiden Flügel Terrain gewonnen hätten.
Wiederum dieſelbe Erſcheinung! Die Front, die abwarten ſoll, iſt ſtark, der entſcheidende Umfaſſungsflügel wird ſogar mit Mühe geſchwächt, denn das 20. Armeekorps wird künſtlich weiter ſüdlich gezogen. Zum mindeſten hätte es auf Couthenans⸗Chagey angeſetzt werden müſſen, fo daß der Druck des 18. Armeekorps und der Diviſion Cremer über Chenebier-Frahier mit Energie hätte zur Geltung kommen können.
Dadurch hätte auch die Front mehr Luft bekommen, ſie konnte nachher des ſchmalen Entwicklungsraumes wegen gar nicht ihre Überlegenheit zur Geltung bringen.
In dreitägigen Angriffen erſchöpfte die Franzöſiſche Armee ihre Kraft. Sie ſcheiterten einerſeits an der mangelhaften Art ihrer Ausführung, ander⸗ ſeits, weil jede einheitliche Dispoſition fehlte. Die Kämpfe ſind hier wie in den weitaus meiſten Schlachten aufgelöſt in ſelbſtändige, voneinander unabhängige Gefechte kleiner Abteilungen.
An dem Einſetzen genügender Kräfte für einen Gefechtszweck wird es bei uns in Zukunft nicht fehlen, mir will es aber ſcheinen, als ob die ſchwere
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Kunſt der Führung, Gefechtshandlungen großer Truppenverbände mit einem feſten einheitlichen Willen zu beleben, mehr geübt werden müßte, als es jetzt möglich iſt.
Je größer die Verbände, um ſo zahlreicher und um ſo ſchwerwiegender die Friktionen. — Zweimal im Jahre, höchſtens dreimal während des Korps— manövers, wird im Diviſionsverbande gefochten, im Korpsverbande — ab⸗ geſehen vom Kaiſermanöver — vielleicht einmal gegen einen markierten Feind. Das ſcheint zu wenig für die Ausbildung der Führer einer Armee, die beſtrebt iſt, die Entſcheidung eines künftigen Feldzuges in großen kräftigen Schlägen der Maſſen zu ſuchen. —
Ich möchte ſchließen mit einem Eindruck, der mir auf allen Schlacht— feldern, die ich ſah, mit gleicher Lebhaftigkeit vor die Seele trat.
Wohl hat ſich die Führung nicht immer auf der gleichen Höhe gezeigt, ſie hat manchmal fehlgegriffen, faſt niemals aber hat es ihr an zielbewußter verantwortungsfreudiger Energie gefehlt. Unterſtützt wurde ſie durch ein Offizierkorps, das ſich in der großen Mehrzahl aus tapferen charaktervollen Männern zuſammenſetzte, die Initiative und unverbrauchte Nerven hatten.
Möchte in einem künftigen Kriege unſer Offizierkorps auf derſelben Höhe ſtehen; das bleibt doch die Hauptſache!
Gedruckt in der Königlichen Hofbuchdruckeret von E. S. Mittler & Sohn. Berlin S Wes. Kochſtr. 68— 71.
Der Angriff über die Ebene
nach dem Ex. R. 1906 beleuchtet durch
Beiſpiele aus der neueſten Kriegsgeſchichte.
Vortrag, gehalten vor den zur Militär-Schießſchule kommandierten Offizieren x von
Breitkopf, Oberſt und Kommandeur der Königlich Bayeriſchen Militär⸗Schießſchule.
(Mit vier Skizzen.)
e Nachdruck verboten. . , Überſetzungsrecht vorbehalten. 1. Einleitung.“)
Es mag wundernehmen, daß ich mich hier von dieſer Stelle mit ſcheinbar rein taktiſchen Fragen beſchäftige. Die Schießvorſchrift 1905 legitimiert mich hierzu.
In Ziff. 177 Schlußſatz wird die gewiſſenhafte Handhabung der Waffe uſw. mit derſelben Schärfe gefordert wie ein den Gefechtsverhältniſſen Rechnung tragendes kriegsmäßiges Verhalten und in Ziff. 205 das kriegs— mäßige Verhalten von Führer und Mann für die Beurteilung der Leiſtung von weſentlichem Einfluß erklärt.
Das gefechtsmäßige Schießen in größeren Abteilungen ſoll ein mög— lichſt kriegsmäßiges Bild in jeder Richtung bieten; die taktiſche Löſung der Aufgabe, inſoweit einfache Anlage und die kleinen in der Regel tätigen Ab— teilungen überhaupt Verſchiedenheiten zulaſſen, ſowie das Kampfverfahren müſſen hierbei ebenſo in die Erörterungen einbezogen werden wie die tech— niſchen Fertigkeiten.
Sprünge nur in den Feuereinheiten der Züge, unbehinderte Ein— wirkung des Kompagnieführers, gerade Linien uſw. ſind für die Leitung der Garbe und für die bequeme Abgabe des Schuſſes vorteilhafter als ein Ver— fahren, das für jeden einzelnen Teil des Gefechtsfeldes, ſelbſt der Som, pagnie, die Individualiſierung ſucht und die „mannigfachſten Formen und Bilder auf den verſchiedenen Punkten“ zeigt — je nach der Gefechtslage, der feindlichen Feuerwirkung und den Verſchiedenheiten des Geländes.
Die Anwendung eines den Erforderniſſen des Augenblicks angepaßten Kampfverfahrens übt ſomit einen ſehr weſentlichen Einfluß aus auf die Schießleiſtung.
*) Die Veröffentlichung hat es notwendig gemacht, aus dieſem Vortrage Angaben über Schießergebniſſe auszuſcheiden. Beiheft z. Mil. Wochenbl. 1908. 2. Heft. 1
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2. Bedingungen für die Betrachtung.
Für die Betrachtung ſollen klare Verhältniſſe geſchaffen, alle von der Infanterie unabhängigen Faktoren ausgeſchieden werden.
Die Erörterung wird ſich möglichſt wenig mit führer taktiſchen Dingen beſchäftigen; dieſe treten in der Tat aus dem geſteckten Rahmen heraus.
Es wird das Kampfverfahren einer beiderſeits angelehnten In⸗ fanteriebrigade beſprochen werden, die am Morgen den entſcheidenden An⸗ griff über eine jeder Deckung entbehrende Ebene einzuleiten und im Laufe des Tages durchzuführen hat (Ex. R. Ziff. 325). Das erſt am Nachmittag zu erwartende Eingreifen einer Nachbarabteilung der Diviſion läßt die Ge— fechtslage des Morgens noch nicht dringend erſcheinen.
In einer Entfernung von 2100 m von der feindlichen Stellung befinde ſich ein der feindlichen Front parallel laufender deckender Hang.
Der von der Brigade anzugreifende Teil des Verteidigers ſei auf 1500 m Frontbreite entwickelt und reichlich mit Munition verſehen (Ex. R. Ziff. 362 uſw. ſowie Ziff. 413).
Die große Bedeutung einer gründlichen Unterſtützung durch Artil- lerie gerade für den Angriff unter ſolchen Verhältniſſen wiſſen wir zu würdigen; wir vertrauen mit vollem Recht darauf, daß unſere mit Schutz ſchilden verſehene Artillerie getreulich der Infanterie bei ihrer ſchweren Arbeit zur Seite ſtehen wird; aber die Erfahrungen des letzten Krieges in Oſtaſien haben gezeigt, daß Infanterie von trefflichem Geiſt und guter Aus— bildung derartige Aufgaben auch dann zu löſen vermag, wenn die eigene Artillerie weſentliche materielle Erfolge nicht zu verzeichnen hat; — eine Erfahrung, die im langen Frieden zurückgedrängt ſchien. (II. Sapa- niſche Armee am Motiönling und Lanholing-Paß im Juli 1904; Durd)- führung der Kämpfe faſt nur mit Infanterie.)
Für unſere Zwecke empfiehlt es ſich, die Erörterungen über die Tätig— keit der Artillerie auszuſcheiden; wir hier wollen annehmen, daß die Artil— lerie des Angreifers durch die feindliche Artillerie gebunden iſt, bzw. daß die Verluſte, die ſie der Infanterie des Verteidigers zufügt, aufgewogen werden durch jene, die die angreifende Infanterie durch die feindliche Artillerie erleidet, und daß auch alle übrigen durch die Artillerie beeinflußten Ver— hältniſſe wie Verſchlechterung der Infanterie-Feuerwirkung bei Angreifer und Verteidiger dieſelben ſind. |
Die Boden beſchaffenheit gleiche jener des Lechfeldes; eine magere Grasnarbe auf dünner Humusſchicht mit lockerem Kiesuntergrund, der das Eingraben mit dem tragbaren Schanzzeug geſtattet. Die Beob— achtung der Infanterie-Feuerwirkung auf dieſem Boden iſt ausgeſchloſſen.
Der ſeeliſche und moraliſche Zuſtand, die Ausbil-
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dung und Bewaffnung der beiden kämpfenden Gegner“) ſeien die- ſelben normalen, kriegsſtarke Verbände 1. Linie eingeſetzt.
Endlich noch einige Worte über Schieß verſuche.
Auf unſeren Übungsplätzen haben wir oft einen jähen Wechſel in den Formen gefunden, die für die Vorbewegung im feindlichen Infanterie- oder Artilleriefeuer angewendet wurden — lediglich auf Grund von Veröffent⸗ lichungen der Schießſchulen beider Waffen. Den Ergebniſſen der Schieß⸗ verſuche wurde ein allein beſtimmender Einfluß eingeräumt auf fampf- techniſche Fragen, wie Dichtigkeit der Schützenlinien, Größe der ſpringenden Abteilungen, Kompagnie oder Gruppenkolonne.
Man hatte die Lehren der Verſuche ohne weiteres auf Verhältniſſe über- tragen, unter denen ſie rein äußerlich gar nicht ſtattgefunden hatten, und doch beeinflußt jede Anderung hierin die Ergebniſſe in weitgehendem Grade. Infanterie- oder Artilleriefeuer von vorn, ſenkrecht zur Front der beſchoſſe— nen Truppe, wirkt z. B. anders als ein Feuer, das die Truppe im Winkel erreicht; die Form, die ſich in dem einen Falle als die beſte erwies, iſt in dem anderen nicht brauchbar.
Man hatte ferner überſehen, daß für die Beantwortung kampf— techniſcher Fragen Dinge maßgebend ſind, die ſich im Frieden oft nicht dar— ſtellen laſſen und die doch die Wahl der Form in erſter Linie entſcheiden, wie Dringlichkeit der Geſamtlage, innerer Zuſtand der Truppe, Zuver— läſſigkeit der Unterführer.
Wer z. B. wollte ſich in lichten Schützenlinien vorbewegen, wenn die taktiſche Lage ein raſches, energiſches Anpacken der feindlichen Front De, dingt! Wer würde es unternehmen, eine aus Truppen 3. Linie gebildete, noch nicht erprobte Kompagnie im feindlichen frontalen Artilleriefeuer in weit geöffnete Schützenlinien aufzulöſen oder eine derartig zuſammen— geſetzte Kompagniekolonne auf weite Zwiſchenräume auseinanderzuziehen, ſtatt ſie feſt in der Hand zu behalten!
Schießtechniſche Verſuche können nur dort beſtimmend eingeſetzt werden, wo andere äußere Verhältniſſe, die Erforderniſſe der taktiſchen Lage, der innere Gehalt der Truppen oder die Rückſicht auf die ſichere Leitung nichts anderes bedingen; ſie ſind bei veränderten Umſtänden nur ein Beitrag zur Löſung der einen oder anderen Frage.
3. Frage, die hier zur Entſcheidung ſteht.
Bekannt iſt, daß ſich nach dem Burenkriege ein unſicheres Taſten und Suchen nach Formen für den Infanterieangriff geltend machte. Wie wir im Jahre 1870/71 und die Japaner im letzten Kriege, ſo hatten auch die Engländer ihre Kampfformen im Verlaufe des Feldzuges geändert.
9 Die Überlegenheit des Angreifers liege auf anderem Gebiete, wie Energie der Führung und des Einzelnen, Überlegenheit an Zahl. 1 *
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In den Kämpfen der Tugela⸗Woche war unter dem Schutze zwar, aber nicht vermöge der Feuerwirkung von Schützenlinien die raſche Entſcheidung im Stoß der Maſſe nach Napoleoniſcher Art geſucht worden. Als dieſe Maſſe — in der Regel allerdings unter niedrigen Durchſchnittsverluſten (5 bis 10 vH.) — zuſammenbrach, betrat man in den ſpäteren Kämpfen überhaupt nur in lichten Schützenlinien das Gefechtsfeld, brachte es nie zu einer kampf— kräftigen Feuerlinie und blieb dem Feuer der Buren unterlegen. Wie früher im Stoß der Maſſe, ſo ſuchte man jetzt die Entſcheidung im Stoß des lichten Schützenſchwarmes; man hatte die Form über das Weſen geſtellt (ſiehe hierzu Ex. R. Ziff. 146). Als auch das keinen Erfolg brachte, trotz vermeint— lich gründlicher, oft tagelanger Vorbereitung durch Artillerie (Magersfon— tein), da verzweifelte man an der Möglichkeit des Erfolges überhaupt und griff unter Lord Roberts zu jenen Umgehungsbewegungen, die zwar Raum, niemals aber die Entſcheidung brachten und in ihrer Geſamtheit mehr Ver— luſte eintrugen als der blutigſte Frontalangriff, der die Entſcheidung ſucht und bringt.
Die Japaner verhalfen dem oft genug und nachdrücklichſt betonten Satze unſeres Ex. R., auch des früheren, wieder zur Geltung, daß die Erringung der Feuerüberlegenheit die Vorbedingung für jeden dauernden Erfolg im Kriege und daß die beſte Deckung nicht die Form, vielmehr das Feuer iſt.
Die Form ſoll nur dazu dienen, kampfkräftige Feuerlinien auf wirk— ſame Entfernung bis zum Sturm an den Feind heranzutragen, ohne daß ſie vorher den Verluſten erliegen.
Wie das in dem hier gegebenen Fall nach dem Ex. R. 1906 geſchehen kann — die ſe Frage Steht zur Entſcheidung.
4. Die Vorbewegung bis zur Feuereröffnung.
Die Erkundung durch berittene Offiziere und Infanterie-Offizier— patrouillen am Morgen des Gefechtstages (Ex. R. Ziff. 363) hatte ergeben, daß aus der feindlichen Stellung mit Sorgfalt beobachtet und näherer Ein— blick nicht zu gewinnen war. Immerhin hatte der Angreifer erkannt, daß ſich der Verteidiger auf eine Stellung beſchränkt und Schützengräben an— gelegt hatte.
Unter dem Schutze ſchwacher Sicherungstruppen, die auf dem deckenden Hang Stellung genommen (Ex. R. Ziff. 366), wurden die erſten Anord— nungen für die Bereitſtellung der Infanteriebrigade erteilt (Ex. R. Ziff. 367); ſie hatte in der Weiſe zu erfolgen, daß jedes Regiment mit der vorderſten Linie dicht an den Hang herantrat und über einen durch die Ge— fechtsſtreifen beeinflußten Entwicklungsraum von 750 m verfügte (Ex. R. Ziff. 371).
Um 90 vorm. ſtand die Brigade gegliedert wie in Skizze 1.
In der vorderſten Linie befinden ſich 10 Kompagnien, jede hat vor ſich 150 m Entwicklungsraum (Ex. R. Ziff. 373 und Ziff. 469 Abſ. 1).
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In 2. Linie die Bataillonsreſerven, im ganzen 6 Kompagnien; in 3. Linie 4 Kompagnien Regiments und in 4. SN 4 Kompagnien Brigade⸗ reſerven.
Regiments und Brigadereſerven können ſchwach gehalten werden; He ſind nur zur Durchführung des Frontalkampfes nötig (Ex. R. Ziff. 289). Ihre Bereitſtellung hinter der Mitte der Abſchnitte entſpricht der nicht ge- klärten Lage. Das Zerreißen der Verbände läßt ſich hierbei nicht vermeiden, es ſei denn, daß ein Regiments- oder der Brigadekommandeur eine eigene Reſerve und damit die Einwirkung auf > Gefecht der vorderen Linie out, gibt (Ex. R. Ziff. 294).
Die Gliederung der Brigade zeigt hier Regelmäßigkeit; für Verſchie— denheiten iſt kein Grund gegeben. Der Hang deckt gegen Sicht und feind- liches Feuer, die Aufgaben für beide Regimenter ſind dieſelben, das An— griffsfeld von der gleichen Beſchaffenheit.
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DU 799 e Hat. 9. K.
In Deier Bereitſtellung wird der Angriffs befehl erteilt. Er bezeichnet den Regimentskommandeuren unter anderm den anzugreifenden Teil der feindlichen Front (je 750 m), den Gefechtsanſchluß (Ex. R. Ziff. 371) und beſtimmt, daß das Gepäck abzulegen (Ex. R. Ziff. 301) und der Inhalt der Patronenwagen an die Mannſchaften zu verteilen ſei (F. O. Ziff. 479). Er ſetzt ferner feſt, daß um 9° vorm. auf Befehl des Brigade- kommandeurs der ſchützende Hang von der vorderſten Linie beider Regi— menter gleichzeitig in vollem Lauf zu überſchreiten ſei. Die Überraſchung des Gegners ſollte für ungehinderte Vorbewegung ausgenutzt und die ſpä— tere gleichzeitige Feuereröffnung angebahnt werden (Ex. R. Ziff. 370).
Der hier angenommene Verteidiger wird das Feuer gegen jedes lohnende Ziel auf weite Entfernung beginnen und auch gegen loſe, unzuſammenhängende Schützeneinheiten vom Maſſen⸗ feuer Gebrauch machen (Ex. R. Ziff. 413).
Auf der anderen Seite wird der Angreifer geſchloſſene Abteilungen im wirkſamen feindlichen Feuer nicht zeigen (Ex. R. Ziff. 342, Abſ. 2) und be⸗ ſtrebt ſein, mit den Schützen vor der Feuereröffnung ſo nahe wie möglich an den Verteidiger heranzukommen (Ex. R. Ziff. 326, Abſ. 1); erſt auf mitt⸗
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lere Entfernungen jol er mit dem Feuer beginnen (Ex. R. Ziff. 326, Abi. 2).
Der Angreifer hat demnach mindeſtens die Strecke vom deckenden Hang (2100 m) bis an die Grenze der mittleren Entfernungen (1200 m) ohne eigenes, aber im feindlichen Feuer zu durchſchreiten.
Vorgehen im Schritt, ſolange es die Wirkung des feindlichen Feuers zuläßt, zur Schonung von Kräften und Atem, und, wenn zu Sprüngen ge— griffen werden muß, lange Sprünge ſind erwünſcht (Ex. R. Ziff. 337, Abſ. 1, Schlußſatz), auch in Abteilungen über Zugſtärke, da wechſelſeitige Feuer— unterſtützung fehlt (Ex. R. Ziff. 337, Abſ. 3).
Die ſpätere Eröffnung des Feuers muß aus dichten, kampfkräftigen Linien erfolgen, um der Gefahr zu begegnen, die das Kämpfen von Minder- heiten gegen Überlegenheiten birgt (Ex. R. Ziff. 285), und um die raſche Erlahmung im Feuergefecht hintanzuhalten.
Zum Durchſchreiten eler 900 m tiefen deckungsloſen Ebene allein können loſe Schützenlinien verwendet werden.
Jede loſe Welle kann während der halben Stunde, die ſie bei der An— näherung von 2100 bis 1200 m dem feindlichen Feuer ausgeſetzt fein wird, über ein Viertel ihrer Stärke liegen laſſen. (Bei einem dem Gegner zu— gefügten Verluſt von 33 vH. nimmt man Feuerüberlegenheit an.)
Je lichter dieſe Welle iſt, deſto geringer iſt die abſolute Zahl dieſes Viertels.
Für die Vorbewegung allein iſt daher die lichte Schützenlinie weit vorteilhafter als die dichte.
Hieraus mag erſehen werden, wie berechtigt der Hinweis des Ex. R. Ziff. 334 iſt.
Werden die Zwiſchenräume ſo bemeſſen, daß ſie größer ſind als die mittleren Breitenſtreuungen auf der betreffenden Entfernung, ſo iſt die Garbe der Breite nach nicht geſchloſſen, das Schießen wird zu einem Schießen gegen jeden einzelnen Schützen.
Zwiſchen 2000 bis 1200 m beträgt die mittlere Breitenſtreuung nach Rohne, „Schießlehre“, durchſchnittlich 51, m; am vorteilhafteſten für die hier durchzuführende Vorbewegung iſt es demnach, wenn die Schützenlinien mit einem lichten Zwiſchenraum von 5 bis 6 m gebildet werden.
Auf den Frontraum der Kompagnie von 150 m träfen hiernach nur etwa 25 Schützen. Die Verlangſamung der Bewegung, die durch eine der— artige loſe Form eintritt, kann bei der angenommenen nicht dringenden tak— tiſchen Lage des Vormittags mit in den Kauf genommen werden.
Wo das feindliche Feuer in ſeiner Wirkung nachläßt, muß ſofort zu Verdichtung, auch während der Bewegung, übergegangen werden — im Intereſſe ſicherer Leitung.
In dieſer lichten Form wird die vorderſte Schützenlinie mindeſtens bis
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auf 1200 m vorgeführt; hier ſoll — wenn möglich — das Feuer erſt nach
Auffüllung zur dichten kampfkräftigen Linie aufgenommen
werden (Ex. R. Ziff. 334).
Dieſe Auffüllung erfordert Zeit; inſofern die vorderſte lichte Schützen⸗ linie das Feuer nicht beginnen muß zum Schutze der ihr folgenden Glieder, iſt die Zeit auszunutzen zur Schaffung von Auflage und Deckung auf jede mögliche Weiſe; der Schütze kratzt den Boden vor ſich zuſammen, arbeitet im Liegen mit dem Spaten (F. V. Ziff. 46), ſaugt ſich an den Boden an und verſinkt allmählich in ihm (Ex. R. Ziff. 313).
Der vorderen Linie folgt Welle auf Welle in ähnlicher Form mit einem Abſtand von 300 m (Ex. R. Ziff. 299). Das Einſchieben mindeſtens dreier ſolcher Wellen iſt geboten, um den Zwiſchenraum von Mann zu Mann auf einen Schritt zu verringern; eingetretene Verluſte können 4 bis 5 Wellen nötig machen, ſo daß die Kompagnie im Augenblick des Feuers aus einer vorderſten kampfkräftigen Schützenlinie 4 bis 6 X 25 Schützen, rund 11% bis 2 Züge, ausgegeben haben wird (Ex. R. Ziff. 463).
Die Unterſtützungen und alle rückwärtigen Tiefenglieder können in der Deckung verbleiben, bis vorn der eigentliche Feuerkampf beginnt (Ex. R. Ziff. 341).
Sobald es die Erhaltung der Feuerkraft auf voller Höhe und das Nähren des Gefechtes erfordert, tritt auch für dieſe zunächſt zurückgehaltenen Kräfte die Rückſicht auf die Vermeidung der Verluſte in den Hintergrund.
In dem hier gegebenen Fall werden auch die rückwärtigen Tiefenglieder aufgelöſt oder in einer Linie in das Strichfeuer eintreten und, wenn ge- boten, in Sprüngen mit Atempauſen vor laufen müſſen; auch kann im weiteren Verlauf an einzelnen Stellen für die Vorbewegung das Zerlegen in kleinere Abteilungen nötig ſein (Ex. R. Ziff. 342), um eine größere Abteilung nach und nach mit weniger Verluſten durch das Strich— feuer zu bringen. Bei ungleichmäßiger Verteilung des Strichfeuers hinter der Front, das ſich aus den an den verſchiedenen Stellen des Gefechtsfeldes in verſchiedenem Maße eintretenden Verluſten beurteilen läßt, hat dieſe Mer, legung mehr Bedeutung als die Offnung der Räume zwiſchen den Schützen.
Stets aber muß eine für die Bewegung zerlegte Abteilung während der Ruhe wieder zuſammengefaßt und unter den Befehl des Führers ge— zwungen werden. |
Einige Beiſpiele aus dem Ruſſiſch⸗Japaniſchen Kriege mögen dieſe Art der Bewegung erläutern.
Vorausgeſchickt ſei, daß das Ruſſiſche Gewehr M 91 eine Anfangs— geſchwindigkeit von 615 m aufwies mit etwa denſelben balliſtiſchen Eigen—
ſchaften wie das Deutſche Gewehr 88 oder 98 ohne 8 (Deutſches M 88 — 620 m, M 98 mit S 860 m Anfangsgeſchwindigkeit).
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Die angreifenden Japaner konnten daher zur Feuereröffnung näher an den Feind herangehen als der Angreifer des Beiſpiels gegen den mit M 98 und S ausgerüſteten hier angenommenen Verteidiger.
Die II. Japaniſche Armee hatte am Nanſchan und die II. mit der IV. Armee bei Liaoyan, hier am linken Flügel der Schlacht, ſchwere Angriffe über deckungsloſe Ebenen gegen befeſtigte Stellungen durchzuführen. Beide Armeen wandten im allgemeinen dasſelbe Verfahren an.
Das Vorgehen einer Infanteriebrigade der 5. Japaniſchen Diviſion bei Liaoyan z. B. geſtaltete ſich derart, daß auf 1800 m von jeder Kompagnie der vorderen Linie ein halber oder ganzer Zug der 4 Züge auf den Raum von 150 bis 200 Schritt aufgelöſt wurde und mit großen Zwiſchenräumen vorging, ſolange es möglich war im Schritt, dann ſprungweiſe in Sprüngen von 50 bis 100 Schritt. Hinter der vorderen Linie folgte in gleicher Art eine 2., oft eine 3. mit Abſtänden von 300 bis 400 Schritt, je nach der Tiefe der feindlichen Geſchoßgarbe bzw. nach dem Maße der wahrnehmbaren Ge— fährdung. Hier ſprang ein ganzer Zug, dort ein Halbzug, eine Gruppe. Auf dieſe Weiſe ſchob ſich Welle auf Welle langſam, aber ohne Aufenthalt bis auf eine Entfernung von 800 m an den Feind heran. Die vorderſte Linie legte ſich hier feſt, um auf die nachfolgenden zu warten. Hierzu wurde dort, wo das Gelände keine Deckung bot, eine ſolche geſchaffen. An einer Stelle hoben die Leute kleine Erddeckungen aus, an der anderen füllten ſie kleine mitgebrachte Säcke mit Erde.
Unter Feuerſchutz gelangten die nachfolgenden Glieder allmählich in die Höhe der vorderen.
Das Heranführen der Kompagnien 2. Linie geſchah in der Brigade in verſchiedenen Formen, meiſt eingliedrig in Sprüngen von 50 bis 100 Schritt, aber auch zugweiſe.
Major v. Bronſart ſchildert das Vorgehen eines Bataillons der IV. Japaniſchen Armee über eine völlig freie Ebene in der Schlacht von Mukden wie folgt:
„Aus den Schützengräben entwickelte ſich eine ganz dünne Schützenlinie, indem einzelne, wahrſcheinlich vorher beſtimmte Leute mit mindeſtens 10 Schritt Zwiſchenraum vorgingen, etwa 800 m ſüdlich Lin-tſien-tun (der feindlichen Stellung) Halt machten und ſich hinlegten.
Bald folgten ihnen in Abſtänden von 300 zu 300 m hintereinander Schützenlinien mit etwa 5 Schritt Zwiſchenraum von Mann zu Mann, und
zwar in Gruppen von 10 bis 20 Leuten. . . . Allmählich verſtärkte ſich die auf 800 m an die Ruſſen herangegangene Japaniſche Schützenlinie zu un— gefähr 2 ausgeſchwärmten Kompagnien. . .. Die Verſtärkung ging teils
in ausgeſchwärmten Gruppen, teils in aufgelöſten Zügen mit etwa 5 Schritt Zwiſchenraum von Mann zu Mann vor, und zwar in ſchnellen kurzen Sprüngen.“
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Die Vorgänge bis zur Feuereröffnung werden ſich in dem hier vorliegenden Falle folgendermaßen abſpielen:
Um 9° vorm. entwickelt jede der 10 Kompagnien vorderſter Linie ge- deckt hinter dem Hange dichte Schützenlinien auf ihrem ganzen Frontraum von 150 m (1½ Züge); aus dieſer ſchälen ſich, noch gedeckt, etwa 25 Schützen mit je 5 bis 6 m Zwiſchenraum heraus.
Belehrung der Führer dieſer vorderſten Welle über Marſchrichtung, Ge— fechtsanſchluß und Lage der Stellung zur Feuereröffnung.
Um 9°° vorm. gleichzeitiges Überſchreiten des Hanges ſeitens der Dor, derſten Linie beider Regimenter auf Zeichen des Brigadekommandeurs; voller Lauf in die deckungsloſe Ebene.
Gegner eröffnet Maſſenfeuer. Die vorderſte Linie bewegt ſich vor— wärts; wo keine Verluſte eintreten, — im Schritt; andernfalls in Sprüngen.
Größte Unregelmäßigkeit; hier, wo feindliches Feuer keinen Erfolg hat, im Schritt, dort, wo Verluſte während der Bewegung eingetreten ſind, — Sprung nach vorwärts und Hinwerfen. An jener Stelle, wo die Schützen im Liegen leiden, raſches Aufſpringen und Vorwärtslaufen aus der Garbe.
Dort, wo die Garbe am rechten Flügel beſonders gut ſitzt, Zuſammen— ſchließen im Vorſpringen nach dem linken Flügel oder Vorlaufen einzelner in der Richtung vorwärts der weniger gefährdeten Stelle.
An jedem Halt das unermüdliche Streben der Führer, die Schützen in die Hand zu nehmen, zu ordnen, zu ermuntern.
Feſthalten daran, daß Gefechtsanſchluß nicht Seitenrichtung bedeutet, nur dasſelbe Streben nach vorwärts zu gleichzeitigem Feuerbeginn, wenn es ſein muß, auf verſchiedener, aber wirkſamer Entfernung.
Die vorderſte Linie bewegt ſich in dieſer Weiſe nach vorwärts, min⸗ deſtens bis auf 1200 m. Selbſttätig wird ein oder der andere Teil die zur Feuereröffnung beſtimmte Stelle überſchreiten dort, wo das feindliche Feuer dies zuläßt, überall wird Willensſtärke dafür ſorgen, daß nirgends die Bewegung eingeſtellt wird, ehe dieſe Stelle erreicht iſt.
10° vorm. Eintreffen einzelner Teile der vorderſten Welle in der erſten Feuerſtellung; hier Schaffen einer Auflage und einer Deckung mit Händen und Spaten. Ausnützen jeder, auch der geringſten Unebenheit.
Die noch nicht aufgefüllte Schützenlinie nimmt das Feuer nur dann auf, wenn das feindliche Feuer unerträglich wird oder zum Schutze der Vor— bewegung der nächſten Welle.
11°° vorm. Beginn des einheitlichen Feuers aus der kampfkräftigen vorderſten Linie, im allgemeinen auf 1200 m.
Die Unterſtützungen waren bis dahin hinter dem Hange ge— blieben, in der Deckung mit 900 m Abſtand, auch die Reſerven. Ein Vor- brechen des Gegners aus ſeiner Stellung war hier nicht zu erwarten.
Nunmehr — 11“ vorm. — betreten die Unterſtützungen in einglie-
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driger Linie die deckungsloſe Ebene, zunächſt im Schritt; fo Vorführung bis in das Strichfeuer.
An der rückwärtigen Grenze des Strichfeuers und, wenn dies nicht wahrnehmbar, etwa 300 m hinter der vorderſten Schützenlinie bleiben die Unterſtützungen in geöffneter eingliedriger Linie liegen, bis ihr Einſchieben nötig wird. n
Sprungweiſes Vorgehen der zum Einſchieben beſtimmten Teile in lichter Schützenlinie auf die ganze Front verteilt oder dichter jenem Teile der Front zuſtrebend, der der Zuführung friſcher Kräfte bedarf.
Die Reſerven folgen den Unterſtützungen, anfangs mit 300 bis 400 m Abſtand — die der Bataillone und Regimenter in eingliedriger Linie, jo» lange keine Verluſte eintreten im Schritt und unter ſtraffer Führung. So— bald Verluſte eintreten, wird ihr Vorziehen von Stelle zu Stelle ähnlich geſtaltet wie das der Unterſtützungen.
Im Vorrücken wird zu beobachten ſein, wo die Unterſtützungen out, gebraucht und ihr Erſatz durch Teile der Reſerve, ein näheres Herangehen oder ein Verſchieben nötig iſt. Im allgemeinen können die Reſerven der Bataillonskommandeure bei der jetzt noch nicht dringenden Gefechtslage an der Grenze des Strichfeuers liegen bleiben — in eingliedriger Linie, feſt in der Hand behalten. Die Offnung der Glieder wird dort nötig, wo Verluſte eintreten.
Während der Vorbewegung ſind allmählich die Regimentsreſerven dort— hin verſchoben worden, wo ſie nötig ſchienen, die Brigadereſerve an den die Entſcheidung ſuchenden Flügel (linker Flügel der Brigade).
Bis 1° nachm. iſt es der vorderſten Linie nicht gelungen, erheblichen Raum nach vorwärts zu gewinnen. Die Unterſtützungen ſind zum Teil ein— geſchoben, eine oder die andere Reſervekompagnie verausgabt.
Zu Meier Stunde wird die Gefechtslage dringender; die Nachbar⸗ abteilung der Diviſion (ſiehe Ziffer 2) nähert ſich dem Gefechtsfeld; das feſte Anpacken der feindlichen Front wird notwendig.
Der Feind hatte mit ſeinem rechten Flügel ſchlechter geſchoſſen; die Wirkung des Angreifers dorthin ſchien ausgiebiger, die Verſtärkungs— arbeiten da weniger vollendet.
Die Lage der Brigade um 1° nachm. iſt aus Skizze 2 erſichtlich.
5. Durchführung des Angriffs bis zur Erſchütterung des Verteidigers.
Um 1° nachm. verſtändigt der Brigadekommandeur die Führer der Re, gimenter von der veränderten Gefechtslage und befiehlt die Durchführung des Angriffs; er betont unter anderm, daß er den Nachdruck auf den linken Flügel der Brigade legen wolle und daß der Kommandeur des 1. Infanterie— regiments auf Zuführung von Kräften aus der Brigadereſerve nicht zu rechnen habe.
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Für die vorderſte Linie beginnt nunmehr das Heranarbeiten an den Feind bis auf nächſte Entfernung (Ex. R. en um ihn für den Sturm mürbe zu machen (Ex. R. 343).
Dieſes Heranarbeiten beſteht im Vote des Feuers, in dem Wechſel zwiſchen Feuer und Bewegung. Erſteres ſchafft die unerläßliche Vor⸗ bedingung für die Bewegung.
Sobald ein Teil, ſei es Gruppe, Halbzug oder Zug wenigſtens die zeit- weiſe Feuerüberlegenheit erreicht hat, was ſich durch Nachlaſſen des feind- lichen Feuers oder durch Zuhochgehen der Geſchoſſe bemerkbar macht, ſo hat
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er die Pflicht, dieſe Gelegenheit zur Vorwärtsbewegung auszunützen, während er ſelbſt durch das Feuer des Nachbarn unterſtützt wird (Ex. R. Ziff. 336).
Die einfachſte und raſcheſte Art der Vorbewegung bilden gut vorbereitete Sprünge des ganzen Zuges, der Feuereinheit. Das Zerlegen des Zuges in einzelne Teile und ihr wechſelweiſes Vorſchieben kann erforderlich ſein (Ex. R. Ziff. 170). Je kleiner dieſe ſich vorſchiebenden Teile ſind, deſto kleiner müſſen die Sprünge gehalten werden, da ſie ſonſt die liegenbleiben⸗ den Schützen im Feuer hindern (Ex. R. Ziff. 337, Abſ. 2).
Je unregelmäßiger die Form und Art iſt, in der ſich Halbzüge, Gruppen und einzelne raſch ſpringend oder auch kriechend vorbewegen, deſto ſchwie—
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riger find dieſe kleinen zum Teil ſchnell beweglichen Ziele vom Verteidiger zu beſchießen.
Die Ruhe der Schützen und die Sicherheit der Feuerleitung des Ver— teidigers gegen den in Gruppen und unregelmäßig vorſpringenden An— greifer leidet. Den Leitern der Feuereinheiten gelingt es bei den ſchnell wechſelnden Erſcheinungen auf dem Gefechtsfeld ſchwer, mit ihren Feuer— befehlen rechtzeitig an die Untereinheiten zu gelangen; das dafür einſetzende ſelbſtändige Handeln dieſer und der Schützen vollzieht ſich oft nicht im Sinne der Feuerleitung und der Erreichung höchſten Erfolges.
Der ſchießtechniſche und taktiſche Erfolg wird gegenüber jenem Falle zurückbleiben, in dem ganze, ebenſo dichte Schützeneinheiten dieſelbe Strecke in 80 m-Sprüngen zu überwinden haben.
Während dem Verteidiger nur raſch wechſelnde und ſchwer zu faſſende Ziele von ganz verſchiedener Art geboten werden, aber zeitlich ununter— brochen, feuert der Angreifer dauernd gegen ein und dasſelbe Ziel, in der Regel von derſelben Beſchaffenheit.
Die Behauptung, daß der Angreifer das Feuer erſt auf den nahen Ent— fernungen eröffnen dürfe, kehrte früher in den Erörterungen über den An— griff häufig wieder.
Heute iſt durch Kriegserfahrungen und zahlreiche Schießverſuche er— wieſen, daß ein Angreifer, der unter den hier gegebenen Verhältniſſen ohne Feuerunterſtützung bis auf die nahen Entfernungen heranzukommen trachtete, dem Feuer des Verteidigers auch in zweckmäßigſter Form und trotz größter Tätigkeit der Beine erliegen würde; er käme gar nicht in die Lage, ſein Feuer auf den nahen Entfernungen zur Geltung zu bringen.
Die Hauptarbeit des Angreifers auf der deckungsloſen Ebene liegt auf den mittleren Entfernungen.
Das Feuer des Angreifers, aus der Grenze der mittleren Entfernungen abgegeben, hat ſehr anſehnliche Wirkung.
Der Angreifer, der ohne unterſtützendes Artilleriefeuer über die freie Ebene vorgehen muß, hat ſich durchaus nicht zu ſcheuen, das Feuer an der Grenze der mittleren Entfernungen gegen kleine Ziele zu eröffnen und auf den mittleren Entfernungen die Erringung der a Feuerüberlegen— heit gründlich vorzubereiten.
Das Feuer auf 1200 bis 1000 m darf dabei nur zur Niederhaltung des Verteidigers, zur Ermöglichung der Vorwärtsbewegung, verwertet werden, die eigentliche Niederkämpfung ſoll erſt ſpäter erfolgen, je näher dem Gegner, deſto beſſer. Der Angriffsgeiſt der Truppe darf nicht durch zu langes Verweilen auf den 1200 bis 1000 m Entfernungen leiden, „der un— ausgeſetzte Drang nach vorwärts und das Beſtreben, es dem Nachbarn hierin zuvorzutun, müſſen alle Teile der Angriffstruppe beſeelen“ (Ex. R. Ziff. 327).
Auch bei dem unter Ziffer 4 ſchon berührten Angriff einer Brigade
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der 5. Japaniſchen Division bei Liaoyan lag die Hauptarbeit des Angriffs auf den mittleren Entfernungen.
Von 800 m ab begann das ſprungweiſe Vorgehen in Zügen, Halbzügen oder Gruppen, ſelbſt von einzelnen in ganz unregelmäßiger Weiſe.
Die Sprünge waren verſchieden lang, mit der Verkleinerung der ſpringenden Abteilungen nahmen ſie ab. Schnelligkeit im Aufſpringen, raſches Vorſtürzen, ſofortiges Niederwerfen: in dieſer Art ging der An— griff bis 500 m, wo die Bataillone bis auf je 1% bis 1 ganze Kompagnie emt, geſetzt waren.
Die Regimentsreſerven waren hier auf 300 bis 500 m an die vorderite Linie herangeſchoben, wo ſie ſich Deckung ſchufen, wenn keine ſolche vor— handen war.
Die Vorbewegung von 1800 bis 500 m nahm 3 Stunden in Anſpruch.
Die Verluſte betrugen 17 v9.
Das von Bronſart v. Schellendorff in der Schlacht von Mukden beob- achtete Bataillon der IV. Japaniſchen Armee haben wir auf 800 m verlaſſen.
Unter lebhaftem Feuer arbeitete es ſich von hier an die Ruſſen heran.
„Einzelne Leute aus den Gruppen ſprangen etwa 30 m vor und warfen ſich nieder, ſie ſchienen nicht zu ſchießen, ſondern erſt damit zu beginnen, wenn die Mehrzahl ihrer Gruppe oder ihres Zuges vorn in ihrer Höhe lag. Dann liefen die noch hinten liegenden Leute auch nach vorn. Bald ſprang eine Gruppe auf einmal; einige Male ſchoben ſich Teile der Schützenlinie nach den Flügeln zuſammen und liefen dann gemeinſam oder einzeln hinter— einander über eine beſtimmte Stelle vor. Wahrſcheinlich bot das Gelände hier Deckung. In der erreichten Deckung breiteten ſich die Schützen dann aus.
Bis ſich die vorderſte Schützenlinie .. .. dem Dorfe auf 400 m genähert hatte, waren ſeit dem Beginn des Angriffs 3½ Stunden vergangen.“
Das 3. G. R. der I. Japaniſchen Armee ſchob in der Schlacht von Liao— Yan 6 bis 7 Kompagnien in die 1. Linie vor und ging von 900 m ab in 80 m langen Sprüngen mit Feuerunterſtützung vor. Von 600 m ab kam man nicht weiter. Daran änderte auch nichts, daß bis gegen Abend die letzte Reſerve eingeſetzt war.
Das Regiment hatte bei dieſer Art des Vorgehens 43 vH. ſeiner Ge— fechtsſtärke verloren, ohne durchzudringen.
In der für die Brigade unſeres Beiſpiels gegebe— nen Lage kann im Sinne des Ex. R. 1906 nach den Kriegs- und Frie— denserfahrungen folgendermaßen verfahren werden:
11 nachm. Weitergabe des Brigadebefehls im Auszuge mit beſonderen Aufträgen ſeitens der Regimenter an die Bataillone.
Der Befehl des Kommandeurs 2. Infanterieregiments wird unter anderm darauf hinweiſen, daß es nunmehr gelte, ſich unter Einſatz aller notwendigen Kräfte an den Gegner bis auf nahe und wirkſamſte Entfernung
„. — — ccc
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heranzuarbeiten, insbeſondere wird dem Kommandeur I. Bataillons der Drang nach vorwärts zur Pflicht gemacht (ſiehe I. Bat. auf der Skizze Seite 63, Lage um 1° nachm.).
Die Regimentsreſerven werden bei Bedarf den Bataillonen zur Ver— fügung geſtellt werden.
178 nachm. Weitergabe der Befehle ſeitens der Bataillonskommandeure an die Führer der noch in Reſerve ſtehenden Kompagnien. Verſtändigung der weiter vorn befindlichen Unterſtützungen durch dieſe, auch wenn die Unterſtützungen anderen Kompagnien angehören. Von dieſen Winke aaa zur Schützenlinie [Ex. R. Ziff. 12“) J.
15” nachm. Aufleben des Feuers in der Front der ganzen Brigade.
Bald darauf: Beginn des Heranarbeitens. An jeder Stelle der Front ganz verſchieden, je nach den dortigen augenblicklichen Verhältniſſen.
Der linke und rechte Flügel des II. Bataillons 2. Infanterieregiments z. Bü erhält wenig wirkſames Feuer; er ſpringt in Zügen mit Feuerunter— ſtützung, zunächſt ohne Rückſicht auf die zurückhängende Mitte des Ba- taillons; weiter vorn Aufnehmen des Feuers mit aller Kraft.
Unter dem Schutz des Feuers der vorgenommenen Flügel arbeitet ſich die Mitte in Gruppen und 25 m Sprüngen heran, an einigen Stellen auch einzeln, nachdem ſie Auffüllung aus der nächſten Unterſtützung erfahren hat.
Dem Platz der in die vorderſte Linie genommenen Unterſtützung ſtrebt ein Zug der zunächſt befindlichen Reſervekompagnie zu.
Beim I. Bataillon werden 2 Züge Unterſtützungen in den zurückhängen— den rechten Flügel eingeſetzt; die letzten 2 Züge der Reſervekompagnie arbeiten ſich vorwärts in die Nähe der Stellen heran, wo die nunmehr ein— geſchobenen Unterſtützungen ſtanden oder hinter jene Teile der vorderſten Linie, die Lücken zeigen und nach vorwärts weniger Raum gewannen, als andere.
Ahnlich beim 1. Infanterieregiment.
Keine Regelmäßigkeit beim Heranarbeiten. Wer zuerſt vorſtürzt oder kriecht, iſt ganz gleichgültig. Auch der kleinſte Teil nützt ſelbſttätig jeden Augenblick zeitweiſer Feuerüberlegenheit aus. Wenn einzelne Teile ver— möge ihres wirkſameren Feuers oder in der locker ſitzenden Garbe des Ver— teidigers raſcher vorwärts kommen, dürfen ſie nicht angehalten werden; ihre Führer werden ſich nur fragen, ob ihr vereinzeltes Vorgehen nicht zu Rück— ſchlägen führen kann (Ex. R. Ziff. 338).
Die zurückbleibenden Abteilungen trachten danach, auf gleiche Höhe zu kommen, nicht etwa in gleiche Seitenrichtung, nur ſoweit vor, daß ſie ohne Gefahr für die vorn befindlichen Schützen feuern können und mit wirkſamem Feuer am Feinde liegen. Dieſe Verpflichtung jeder der vielen verſchieden—
*) Preuß. Ex. R. Ziff. 13.
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artig handelnden Teile der vorderſten Linie wird für den Zuſammenhang der Angriffsbewegung ſorgen und das planmäßige Heranarbeiten von Stufe zu Stufe bewirken, immer näher bis auf wirkſamſte Entfernung vom Feind.
Die Führer der Unterſtützungen halten Auge und Ohr offen für die Vorgänge in der vorderſten Linie.
Wo in der vorderſten Linie das Eigenfeuer nachläßt, eine Lücke ent⸗ ſteht, ſind ſie zur Hand, für die Vorbewegung ſich — wenn es ſein muß — bis zum einzelnen zerteilend. Keine beſtimmte Form.
Selbſttätig kommen ſie den Bedürfniſſen der vorderen Linie entgegen, ſie dürfen nicht warten, bis Befehl oder Wink ſie vorruft.
Die Reſervekompagnien erſetzen die Unterſtützungen aus ihren Kräften, ſchieben ſich mit dem Vorſchreiten des Angriffs näher heran, ſind endlich ſelbſt nur mehr Unterſtützungen.
Die Regimentsreſerven ſchieben einzelne Kompagnien vor an die Stelle aufgelöſter Bataillonsreſerven, erhalten den Drang nach por, wärts, wo er zu erlahmen droht, durch Herangehen und Einſchieben.
Skizze 3. 150m > * . „ 1 | I
Die Brigadereſerve rückt an die Stelle der vorgegangenen Reſerve des 2. Infanterieregiments.
Je näher am Feind, deſto geringer die Abſtände, deſto mehr gleicht die Vorbewegung der zurückgehaltenen Kräfte der Arbeit der vorderſten Linie.
Ihre Aufſtellung in eingliedriger geöffneter Linie wird da und dort nötig ſein.
Um 4 nachm. hat ſich die vorderſte Linie der Brigade bis auf
— — —
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400 m herangearbeitet. Der Gegner ſchießt ſchlecht, Unruhe, Zurücklaufen einzelner wird bemerkbar, kurz, die Erſchütterung ſcheint bevorzuſtehen.
Die Lage der angreifenden Brigade zu dieſer Stunde mag die Skizze 3 auf Seite 67 veranſchaulichen.
6. Sturm.
Der Sturm ſoll erfolgen, ſobald die feindliche Stellung genügend erſchüttert iſt (Ex. R. Ziff. 343).
Das Erkennen dieſes genügenden Grades iſt keine einfache Sache. Bekannt iſt, daß den Japanern, die ſich zum Sturm erhoben, häufig genug aus der Ruſſiſchen Stellung wirkſames Feuer entgegenſchlug und ſie zu wiederholten Halten auf den nächſten Entfernungen zwang, bekannt auch, daß General Buller vor Colenſo den Rückzug zu dem Zeitpunkte antrat, als die Buren die Aufgabe ihrer Stellung erwogen. Mit aller Schärfe iſt zu fordern, daß der einmal nach vorwärts gewonnene Raum mit Aufbietung aller Kräfte feſtgehalten wird (Ex. R. Ziff. 327).
Der Satz des früheren Exerzier-Reglements, der ſich heute noch in der F. O. Ziff. 623 findet, daß innerhalb 400 m die Entſcheidung in kurzer Zeit fallen müſſe, iſt durch die neueſten Kriegserfahrungen nicht beſtätigt. In der Mandſchurei handelte es ſich allerdings meiſt um den Angriff gegen ſehr ſorgfältig befeſtigte Stellungen; immerhin haben dieſe Kriegserfahrungen dazu geführt, den Satz aus dem Ex. R. 1906 auszuſcheiden.
Über die Formen der ſtürmenden Truppen enthält das Ex. R. mit Recht keine Andeutungen. In dieſem Zeitpunkt tritt die Rückſicht auf Ver- luſte zurück (Ex. R. Ziff. 345), fie kann zurücktreten, da die Nieder— kämpfung des Gegners durch Feuer zur Vorbedingung des Sturmes ge— macht wird. Jetzt kommt es nicht auf die Form, vielmehr darauf an, den Reſt des Gegners mit dem Bajonett zu vernichten.
Die Sorge für die Einheitlichkeit des Angriffs findet in verſchiedenen Beſtimmungen ihren Ausdruck.
So ſoll die vorderſte Linie, wenn ſie aus eigenem Entſchluß ſtürmt, durch Wink nach rückwärts hiervon Kenntnis geben. (Ex. R. Ziff. 345), — wenn der Sturmentſchluß von den rückwärts befindlichen Führern ausgeht, entflammt das Signal „Seitengewehr pflanzt auf“ die Schützen zur Ent— faltung der höchſten Feuerkraft und die noch weiter zurückbefindlichen Teile vorderſter Linie zu energiſchem Heranarbeiten auf die nächſten Ent— fernungen (Ex. R. Ziff. 347), die Tiefenglieder zum Vorrücken.
Das Signal bedeutet nicht den ſofortigen Sturm, wie man es bei Friedensübungen häufig aufgefaßt ſieht.
Die Einheitlichkeit der Handlung iſt nicht in dem gleichzeitigen Ein— bruch der ganzen vorderſten Linie in den Feind zu ſehen; „ſolche Gleich— zeitigkeit iſt nebenfahlidh”. Die Kraft des Angriffs müßte durch
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Zurückhalten einzelner weiter vorn befindlicher Teile leiden, Es jollen vielmehr alle einmal aufgeſprungenen Teile in ununterbrochenem Vor— ſtürmen bleiben (Ex. R. Ziff. 349), jene Teile aber, die die Einbruch⸗ ſtellle während des Sturmes aus ſeitlichen oder überhöhenden Stellungen beſchießen können, im Feuer verbleiben (Ex. R. Ziff. 346).
Iſt der Sturm geglückt, ſo bleiben in vorderſter Linie nur ſo viele Truppen, als Raum zum Verfolgungsfeuer finden; jeder Teil, der keine Gelegenheit zur Feuertätigkeit hat, iſt dort überflüſſig (Ex. R. Ziff. 372) und wird beſſer geordnet, um für Rückſchläge zur Hand zu ſein oder Verwendung in anderer Richtung zu ſuchen (Ex. R. Ziff. 350).
Im Ruſſiſch⸗Japaniſchen Kriege ſpielte ſich auch der Nah⸗ angriff in den verſchiedenartigſten Formen ab. Je nach der Widerſtands— kraft des Gegners, wie ſie von den Japanern beurteilt wurde, begann der Sturm auf 350, 300 oder 250 m und ſuchte in einem Lauf an den Feind zu kommen; erwies ſich der Gegner als noch nicht ſturmreif, ſo wurde Halt gemacht und das aufs äußerſte verſtärkte Feuer wieder aufgenommen, oft zu ſtundenlangem Ringen. Oft auch fanden die auf 500 und 400 m an- gelangten Japaner nicht mehr die Kraft zum Sturm, der Angriff erlahmte hier. So bei Liaoyan gegen den Manjuyana oder bei Mukden gegen Lid— janopeng und gegen Wandjawopeng. An Energie und Tapferkeit hat es den Japanern nicht gefehlt, aber die ſeeliſchen und körperlichen Kräfte der vorderſten Linie waren verbraucht, Tiefenglieder zu ihrer Auffriſchung fehlten, die Folge zu großer Fronten.
In dieſer Lage blieb nichts anderes übrig, als den Einbruch der Nacht abzuwarten und dann unter Heranholen weiter entfernter Kräfte zu ſtürmen.
In den oben berührten Fällen räumten die Ruſſen während der Dunkel— heit die Stellungen — ohne den Sturm abzuwarten.
Die Wirkungen des Infanteriefeuers auf die nächſten Ent- fernungen find überall befannt.
Nehmen wir in dem vorliegenden Beiſpiele an, der Sturm⸗ entſchluß ſei von der vorderſten Linie am linken Flügel der Brigade um 4° nachm. gefaßt worden, fo wäre ſofort der Wink „sss“ nach rückwärts zu geben [Ex. R. Ziff. 125) ]. Er verbreitet ſich wie ein Lauffeuer über alle Teile des Gefechtsfeldes und belebt die vorderſte Linie wie alle rückwärtigen Abteilungen.
5° nachm. Sturm.
Die vorderſten, in die feindliche Stellung eingedrungenen Teile nehmen ſofort das Verfolgungsfeuer auf; die rückwärtigen Glieder ſind nach vorn aufgeſchloſſen und dort zum Teil eingeſetzt worden, wo ihr Nachdruck ge- in war.
oi Preuß. Ex. R. Ziff. 13. Beiheft z. Mil. Wochenbl. 1908. 2. Heft.
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Ein anderer Teil und alles vorn Überſchüſſige wird geordnet und geht ſofort an die Einrichtung der genommenen Stellung.
Die Lage der Brigade nach dem Sturm gibt die nachſtehende Skizze:
Skizze 4.
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7. Munition.“)
Bei Einführung des Mehrladers ſpielte die Frage genügender Muni- tionsausrüſtung für die Infanterie eine große Rolle. In der Tat bedeutet die glückliche Löſung dieſer Frage die Sicherung des Erfolges im Feuerkampf.
Man fürchtete vielfach vom Mehrlader einen nachteiligen Einfluß auf die Feuerdiſziplin und Munitionsverſchwendung.
Im Jahre 1870/71 trat in der Regel allgemeiner Patronenmangel nur dort ein, wo man verſäumt hatte, beim Ablegen der Torniſter die Pa— tronen aus ihm mitzunehmen oder wo vor dem Gefecht die Patronenwagen zurückgeſchickt waren. Die Truppen bewahrten im Feuer große Ruhe und hielten Haus mit ihrer Munition. So verſchoß z. B. das Regiment Nr. 50 bei der hartnäckigen Verteidigung der Mauer von Buzanval in 9 ſtündigem Gefecht nur durchſchnittlich 92 Patronen pro Kopf. Auch bei Beaune wurde der Bedarf faſt ausſchließlich aus der Taſchenmunition von 80 Patronen gedeckt; weniger bedrängte Teile gaben an die ſchwer in Anſpruch ge— nommenen ab, fo daß dieſe über beträchtlich mehr verfügten (3. B. Bataillon im Friedhof von Beaune).
Vor Plewna verſchoſſen die Ruſſen in 4 bis 6 Stunden ihre geſamte Taſchenmunition und die der Kompagniekarren, beim Sturm auf Scheinowo
*) Notizen über Patronenverbrauch in früheren Kriegen nach Bald.
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verſchoß das 11. Jägerbataillon in 4 Stunden 120 Patronen, am Schipka das 13. Jägerbataillon 122 Patronen pro Gewehr.
Am weiteſten wurde die Feuerſchnelligkeit bei den Türken getrieben. Bei Gorni Dubniak ſoll jeder Mann 800 bis 900 Patronen zur Verfügung gehabt haben.
Im Chileniſchen Kriege (1891) wurde von den mit Mehrladern ver⸗ ſehenen Truppen die Taſchenmunition von 180 bis 200 Patronen mehrfach innerhalb 35 bis 40 Minuten verſchoſſen.
Bei den Japanern trat, ſoweit bekannt, niemals Munitionsmangel ein; ihre Ausrüſtung beſtand aus 120 Patronen in der Taſche, dazu nahm jeder Mann vor dem Angriff noch 40 Patronen mit. Eine gründlich geſchulte Arbeitertruppe folgte dem Gefecht wie eine loſe Schützenlinie und trug Patronen bis in die vorderſt e Linie.
Für den Erſatz ſorgte in der Regel ein während der Nacht in der Nähe des Gefechtsfeldes niedergelegter Vorrat.
Für einen derartigen Angriff, wie ihn die Infanteriebrigade unſeres Beiſpiels durchzuführen hatte, iſt die volle Kriegsausrüſtung an Patronen nötig.
Die volle Kriegsausrüſtung beträgt bei uns rund 335 Patronen für den Mann, nämlich:
a) der Mann trägt in den Patrontaſchen 90, im Torniſter 30, außerdem je nach vorhandenem Raum im Torniſter oder Brotbeutel 30, im ganzen 150 Stück;
b) der Patronenwagen faßt 65 auf den Kopf;
c) die Munitionskolonnen enthalten 120 für jeden Mann.
Über den Patronenerſatz ſiehe F. O. 479.
8. Verluſte.
Auch der neueſte Krieg beſtätigt die alte Erfahrung, daß mit der Ber, beſſerung der Waffe und der Vergrößerung der Heere die Durchſchnitts— verluſte in der Schlacht abnehmen; an einzelnen Stellen ſchwellen ſie dabei zu einer Höhe an, die den Vergleich mit den Verluſten früherer Zeiten nicht zu ſcheuen braucht. |
Je tüchtiger eine Truppe iſt, deſto größere Verluſte erträgt ſie.
Zu Friedrichs des Großen“) Zeiten betrugen die Verluſte durchſchnitt⸗ lich 30 vH., bei Kolin 42 vH., bei Kunersdorf 45 vH.; in den Napoleoniſchen Kriegen 26 v., bei Aſpern für die Oſterreicher 30 vH.; im Feldzuge 1866 durchſchnittlich 16 vH., für die Sieger nur 4 v., für die Beſiegten bei Königgrätz 20 vH.; im Kriege 1870/71 durchſchnittlich 17 vH., bei Gravelotte für die Gardeſchützen 44 v., für das J. Bataillon 2. G. R. z. F. 55½ H.:
*) Notizen über Verluſte in früheren Kriegen nach Bald. 9%
—
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im Burenkriege 5 bis 10 vH.; nach den vorläufigen Berechnungen im Ruſſiſch⸗ Japaniſchen Kriege 14 vH. (M. W. Bl. 158/1906).
Von den Geſamtverluſten der Mullen trug die Infanterie etwa 70 v., die Kavallerie 13 nn. die Artillerie 10 vH. und die techniſchen Truppen rund 7 vH. |
Die erſten Nachrichten über den Anteil, den die einzelnen Waffen an der Herbeiführung dieſer Verluſte hatten, erregten Staunen; das Infanterie⸗ geſchoß verurſachte 85,9 vH., die Artillerie 11,4 vH. und die blanke Waffe 3,1 vH. (Löbell 1905 S. 475). |
Grund genug für uns Infanteriſten, mit Befriedigung und Selbſt— bewußtſein an der Vervollkommnung in der Verwertung unſerer Waffe zu arbeiten.
9. Schlußwort.
Für die Beſprechung des Infanterieangriffs wurden ganz beſtimmte, äußere und innere Verhältniſſe derart geſchaffen, daß der Hinweis auf die Ausbildung und den Gehalt der Truppen, auf die Mitwirkung der Artillerie, auf die Ausnützung des Geländes vermieden werden konnte, Bundes genoſſen, von deren Bedeutung für die Durchführung eines derartigen An griffes wir alle durchdrungen ſind.
Jede, auch die geringſte Verſchiebung der Grundlagen für die Betrad)- tung ändert auch das Verfahren; ſelbſt unter denſelben Verhältniſſen können auch andere Wege zum Ziele führen; es kommt nicht ſo ſehr darauf an, welcher Weg gewählt wird, als daß der gewählte mit allem Nachdruck, unter Einſetzen der ganzen Perſönlichkeit und ohne Scheu vor Verantwortung durchſchritten wird.
Seit langen Jahren ein überzeugter Gegner jedes Normalverfahrens trete ich für die Ausnützung der vorhandenen Verantwortungsfreude und Gedankentätigkeit der Führer aller Grade ein, für Zurückdrängung aller revuetaktiſchen Beſtrebungen, jedes Schemas.
Die Selbſttätigkeit der Unterführer iſt ein nicht hoch genug anzu— ſchlagendes und mit größter Sorgfalt zu ſchützendes Gut. Dem verdanken die Japaner großenteils ihre Erfolge ebenſo, wie wir in unſerem letzten großen Kriege.
Das Gefecht von Puſchulin-Pjelin am 31. Juli 1904.
Von Hermann Siehrl, Leutnant im Königlich Bayeriſchen 2. Infanterieregiment Kronprinz.
(Mit Skizzen.)
Nachdruck verboten E Dberiepungërecdt vorbehalten.
Einleitung.
Die erſte Nachrichtenflut über den Ruſſiſch⸗Japaniſchen Krieg hat ſich gelegt. Sie hatte die erſten, im Feldlager raſch niedergelegten Eindrücke militäriſcher und anderer Beobachter gebracht. Dieſe Nachrichten wurden in der Heimat zuſammengeſtellt und man ſäumte nicht, aus ihnen die weſentlichſten Erfahrungen des Krieges zu folgern. Dann trat eine große Pauſe ein. Die Beobachter waren in ihre Heimat zurückgekehrt. Losgelöſt von den Eindrücken des Augenblickes verarbeiteten fie die geſammelten Er- fahrungen zu geordneten Schilderungen und übergaben dieſe als gereifte Arbeiten der Offentlichkeit. Bis zum Erſcheinen offizieller Werke dürften dieſe Bücher für den Fachmann von zunächſt maßgebender Bedeutung ſein. Die Objektivität der Schilderung und der volle Überblick fehlen natürlich auch hier noch häufig. Eine ausſichtsvolle Gelegenheit zu belehrendem Studium kann ſich nur da bieten, wo ein und dieſelbe Begebenheit von ſach⸗ verſtändigen Zuſchauern beider kämpfender Parteien geſchildert und oe, würdigt wird; eine ſolche geben uns die intereſſanten, ſehr empfehlen3- werten Arbeiten des Engliſchen Generalleutnants Hamilton“) und des Preußiſchen Majors Frhrn. v. Tettau“) hinſichtlich des Gefechts von uſchulin — Pjelin. v. Tettau befand ſich im Stabe des Ruſſiſchen Führers, hatte gründlichen Einblick in die dortigen Verhältniſſe, ſprach ſelbſt Ruſſiſch und hat perſönlich jenes Gefecht mitgemacht. Hamilton hatte als Mitglied der Engliſch⸗Japaniſchen Militärkommiſſion eine Bewegungs— freiheit innerhalb der Erſten Japaniſchen Armee, um welche ihn die übrigen fremdländiſchen Offiziere beneideten; dazu hatte er intime Beziehungen zum
*) Hamilton „a staff officers scrap-book“. I. und II. Band. London 1906. Edward Arnold.
*) Tettau „Achtzehn Monate mit Rußlands Heeren in der Mandſchurei“. I. Band. Berlin 1906. E. S. Mittler & Sohn, Königl. Hofbuchhandlung.
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Stabschef Kurokis, wahrſcheinlich ſogar Einblick in deſſen Gefechtsberichte; endlich ſtanden Hamilton zwei jüngere Engliſche Offiziere, die Captains Jardine und Vincent, zur Seite, die Japaniſch ſich zu verſtändigen ver— mochten, und welche die Beobachtungen des Generals in wertvoller Weiſe zu ergänzen imſtande waren. Die Angaben des Generals Hamilton über das Gefecht von Nuſchulin—Pjelin ſtützen ſich auf die Berichte des Captains Jardine, der als einziger Europäer das Gefecht auf Japaniſcher Seite mit— gemacht und das geſamte Gefechtsfeld in den Tagen nach dem Kampfe ab— geritten und flüchtig ſkizziert hat.
Im Beſitze dieſer Quellen verſuche ich eine „kritiſche us über das Gefechtsfeld von Yuſchulin —Pjelin.“)
Generalleutnant Hamilton und Captain Jardine hatten die große »„Liebenswürdigkeit, mir mündlich bzw. ſchriftlich Ergänzungen zu den ge— druckt vorliegenden Darſtellungen zu geben. Wertvolle Ergänzungen ver— danke ich auch dem Kaiſerlich Japaniſchen Major Hikida, der im Stabe Kurokis den Krieg mitmachte und im Gefecht vom 31. Juli die Kolonne Okaſaki als Nachrichtenoffizier des Armee-Oberkommandos zu begleiten hatte.
Allgemeine Cage im Juli 1904.
Das Gefecht von NPuſchulin—Pjelin fällt in eine jener zahlreichen Perioden des Ruſſiſch-Japaniſchen Feldzuges, welche zwar keine großen Waffengänge aufweiſen, aber dadurch intereſſant erſcheinen, daß in ihnen die großen Entſcheidungen heranreiften. Eine ſolche vorbereitende Periode war die Zeit von Mitte Juni bis Ende Auguſt des Jahres 1904. Sie be, ginnt mit dem Rückzuge des Generals Stackelberg nach dem unglücklichen Gefechte von Wafangou und endet mit den Einleitungskämpfen zur Schlacht von Liaoyan. Jenes Gefecht entſchied endgültig über die Verbindung der Ruſſen mit Port Arthur, die Schlacht von Liaoyan eröffnete den Entſchei— dungskampf um die Mandſchurei. Japaniſcherſeits charakteriſiert ſich dieſer Zeitabſchnitt durch ein ſchrittweiſes, methodiſches und konzentriſches Vor— gehen dreier Armeen, von Oſten, Südoſten und Süden gegen Liaoyan, Ruſſiſcherſeits durch eine Reihe von Abwehrverſuchen, die auf jeden gegne— riſchen, in Richtung gegen Liaoyan gemachten Schritt Antwort zu geben
*) Die hier vorliegende Arbeit war bereits abgeſchloſſen, als Heft 41/42 der Kriegsgeſchichtlichen Einzelſchriften erſchien, das auf den Seiten 67—72 auch das Gefecht von Yuſchulin-Pjelin behandelt. Meine Darſtellung deckt ſich im Weſent— lichen mit jener des Großen Generalſtabes. Da, wo die hier gegebene Darſtellung eine abweichende iſt — ſo in der Gefechtsführung und Truppenverteilung auf Japa— niſcher Seite am Juſchulin, teilweiſe auch am Pjelin — beruht ſie auf zuverläſſiger Japaniſcher Quelle.
Auf Anlage 4 und Karte 7 der angezogenen Einzelſchrift darf ich als wert— volles Hilfsmittel für die Lektüre meiner Arbeit hinweiſen.
Skizze l.
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verſuchen. Auf Seite der Japaner reift alles einer ſehnlich erwarteten großen Entſcheidung entgegen, während man auf Ruſſiſcher Seite ängſtlich
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bemüht iſt, eine ſolche hinauszuſchieben. Bei der Japaniſchen Führung iſt beſtimmtes Wollen und energiſches Handeln zu erkennen, während beides der
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Ruſſiſchen Führung fehlt. Stattdeſſen fehen wir hier volle Abhängigkeit vom gegneriſchen Willen und infolge hiervon fortgeſetztes Zerreißen der Verbände und ſtetes Eingreifen des Feldherrn in den Befehlsbereich der Unterführer. Major v. Tettau ſchreibt: „Zu jenem Zeitpunkte gab es auf dem Kriegsſchauplatze keinen höheren Führer, der ſämtliche, zu ſeinem Ver— bande gehörigen Truppenteile unter ſeinem Kommando gehabt hätte. Alles war durcheinander geworfen. Jeder mit der Eiſenbahn ankommende Truppenteil wurde dazu verwendet, irgend ein Loch zuzuſtopfen, das in der Aufſtellung der Armee noch vorhanden war oder ſich neu gebildet hatte.“
Der Kriegsſchauplatz
verlegte Déi in dieſer Periode mehr und mehr gegen Liaoyan, dieſen geogra- phiſch und militärisch jo wichtigen Punkt. Liaoyan liegt an dem großen Schienenſtrang, der Port Arthur mit der Transſibiriſchen Eiſenbahn verbindet und in dieſe bei Charbin einmündet. Die Eiſenbahn erſcheint gleichzeitig als Grenze zwiſchen zwei verſchiedenen Teilen des Kriegsſchau⸗ platzes. Den weſtlich der Bahn gelegenen Teil bildet die fruchtbare Tief⸗ ebene der Mandſchurei, reich bewäſſert vom Flußſyſtem des Liaoho und zur Sommerszeit mit unüberſehbaren Gaoljan⸗Feldern beſtanden. Oſtlich der Eiſenbahn erhebt ſich ein unwegſames, waldarmes Mittelgebirge ziem- lich unvermittelt aus der Tiefebene.
In einem großen, Liaoyan ſüdlich und öſtlich vorgelagerten Bogen — mit einem Halbmeſſer von etwa drei Tagemärſchen — erſtreckte ſich Mitte Juli
die Aufftellung der Ruſſiſchen Armee.
Im Süden von Liaoyan, teils in der Ebene, teils im Gebirge, ſtanden die Hauptkräfte (1., 2., 4. und Teile des 10. Armeekorps) im Raume Haitſchön —Taſchikiau —Simutſchön. In Ningkou, an der Mündung des Liaoho, hatte man zunächſt noch Verbindung mit dem Meere. Südlich Taſchikiau ſtand man mit der von Süden anrückenden Zweiten Japaniſchen Armee in Fühlung. Weitere Kräfte des Gegners (Vierte Armee) waren aus ſüdöſtlicher Richtung im Anmarſch gegen Haitſchön. In das Gebirge öſtlich vorgeſchoben Tonn die Oſt abteilung unter Führung des Grafen Keller (1. Armeekorps und mehr als die Hälfte des 10., dabei 11% Kavallerie⸗ diviſionen). Dieſe Abteilung hatte die linke Flanke der Ruſſiſchen Streit— kräfte zu ſichern; ihr gegenüber rückte die Erſte Japaniſche Armee auf Liaoyan vor. In Liaoyan, das ſtark befeſtigt war, lagen Teile des 10. Armeekorps; hier wurde auch das auf dem Kriegsſchauplatz ſeit Mitte Juli allmählich eintreffende 17. Armeekorps ausparkiert.
Das Gefecht von Nuſchulin — Pjelin ſpielt ſich am linken Flügel jener Oſtfront ab. Die Geſchichte ſeiner Entſtehung und ſeines Ver—
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laufes hängt innig zuſammen mit dem Schickſale der Oſtabteilung. Graf Keller ſtand Mitte Juli mit der Maſſe ſeiner Truppen im allgemeinen hinter dem Lanho⸗Fluſſe und hatte von hier aus am 17. Juli“) eine gewaltſame Erkundung in öſtlicher Richtung unternommen, die mit einer Schlappe und
Kriegsgliederung des 10. Armeekorps am 31. Juli 1904. Kommandierender General: Generalleutnant Slutſchewsky. Chef des Stabes: Generalmajor Zurikow. 31. Inf. Div. 9. Inf. Div. Generalleutnant Mau. | Generalmajor Gerſchelmann.
1. Inf. Brig. | 2. Inf. Brig. | 1. Inf. Brig. (Martion). (Rjäbinkin).
122. 121. 34. 33. 36. 35. EEE BE ES Eu HE EEE BE HE EEE En HE HE EN EN E = E ES 2 2 31. Art. Brig. 9. Art. Brig. I t t I II I II II III
Gebirgsbatterie.
II 0 1. Orenburg-⸗Kaſakenregiment.
44444
6. Pionierbataillon.
Zugeteilt: , 1. Argun⸗Kaſakenregiment. Terek⸗Kuban-Reiterregiment.
444446 4444424
Anmerkung: Die 2 Brigade 31. Diviſion war mit mehreren Batterien dem 2. Armeekorps unterſtellt.
Die Feldbatterien führten 8 Geſchütze, die Gebirgsbatterie hatte 7 veraltete Geſchütze. !
Das Terek⸗Kuban⸗Reiterregiment beſaß Maſchinengewehre.
mit dem Rückzuge in die Ausgangsſtellung endigte.““) Zwei Tage ſpäter war der, getrennt von den Hauptkräften links vorwärts auf Sihoyan vorgeſchobene nördliche Flügel der Oſtabteilung empfindlich geſchlagen worden. General Gerſchelmann war hier als Führer einer gemiſchten Brigade 10. Armeekorps vom rechten Flügel der Erſten Japaniſchen Armee
*) Die Daten ſind die des Ruſſiſchen Kalenders. 9 Vgl. Militär⸗Wochenblatt Nr. 111/112/1907.
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(12. Diviſion) angegriffen und nach ſchweren Verluſten zum Rückzug auf Kutſiatſy gezwungen worden. Er ſtand nun hier auf gleicher Höhe mit der Oſtabteilung, nur mehr zwei Tagemärſche von Liaoyan entfernt. Durch dieſes Zurückweichen ſeines linken Flügels war Kuropatkin über ſeine linke Flanke und ſeine Verbindungslinie über Mukden ganz beſonders beunruhigt worden. Um den eingedrückten äußerſten Flügel wieder vorwärts zu bringen, beſchloß er, weitere Kräfte in das Gebirge vorzuſchieben und die Bedrohung des eigenen linken Flügels in eine ſolche des Japaniſchen rechten zu verwandeln.
Auf Grund dieſes Entſchluſſes erhielt das 10. Armeekorps (General Slutſchewsky) am 21. Juli Befehl: gegen die bei Sihoyan oe, meldeten ſtarken Japaniſchen Kräfte zum Angriff vorzugehen. Seit der unglücklichen Entſendung des Korps Stackelberg in Richtung auf Port Arthur war es das erſte Mal, daß das militäriſche Zauberwort „Angriff“ ausgegeben wurde. Wie Tettau erzählt, ver— fehlte es auch diesmal nicht ſeine elektriſierende Wirkung.
Bei Ausgabe des Angriffsbefehls erſchien General Slutſchewsky als ein „König ohne Reich“. Seine Truppen waren der Befehlsgewalt des kommandierenden Generals entriſſen, denn wir ſehen ſie, wie folgt, verteilt:
Der Oſtabteilung unterſtanden die 9. Diviſion und 1 Infanterie— regiment der 31. Diviſion. Hiervon befand ſich 1 Infanteriebrigade mit mehreren Batterien bei Kutſiatſy. Es waren dies jene Truppen, welche am 19. Juli unter Gerſchelmann die Niederlage von Sihoyan erlitten hatten. Die andere Hälfte der 9. Diviſion, dabei das Infanterieregiment der 31. Di— 'viſion, befand ſich beim Gros der Oſtabteilung.
Dem 2. Armeekorps, das um Haitſchön verſammelt war, waren von der 31. Diviſion 1 Infanteriebrigade und mehrere Batterien unterſtellt.
In Liaoyan ſtanden die Korpstruppen und das General kommando mit dem übrigbleibenden Infanterieregiment der 31. Di— viſion.
Für den Angriff auf Sihoyan wurden nunmehr dem General Slu— tſchewsky wieder ſämtliche Truppen ſeines Armeekorps. bis auf jene In— fanteriebrigade, die dem 2. Armeekorps zugeteilt blieb, zurückgegeben. Neu hinzu traten zwei bisher bei der Oſtabteilung verwendete Kaſakenregimenter.
Demnach waren die zum Angriff auf Sihoyan beſtimmten Truppen über einen beträchtlichen Teil des Kriegsſchauplatzes verteilt und mußten erſt geſammelt werden, bevor ſie angriffsweiſe verwendet werden konnten. Dieſe Verſammlung erfolgte nach vorwärts auf die am weiteſten gegen Oſten vorgeſchobene, bei Kutſiatſy ſtehende Gruppe. An dieſe rückten von Liaoyan die Korpstruppen, ein Infanterieregiment der 31. Diviſion und das Generalkommando, von Süden über Anpin die beim Gros der Oſtabteilung in Verwendung geweſenen Teile des 10. Armeekorps heran. Der komman—
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dierende General, dem das Reiten beſchwerlich fiel, ließ ſich in ſeiner auf den Kriegsſchauplatz mitgebrachten Equipage befördern. Am 25. Juli war das Armeekorps (24 Bataillone, 18 Sotnien, 95 Geſchütze) bei Tundiapu ver⸗ ſammelt. General Kuropatkin hatte ſich hier perſönlich eingefunden, ein Beweis, daß er dem Angriff auf Sihoyan hohe Bedeutung zumaß.
Die Verpflegung der Truppen war ſorgfältig vorbereitet. Acht⸗ tägige Vorräte lagerten ſowohl in Anpin als in Kutſiatſy; das Armeekorps ſelbſt führte eine weitere achttägige Verpflegung mit ſich. Auch die Ver- pflegsmaßnahmen ließen darauf ſchließen, daß man geſonnen war, hier im Gebirge Großes zu unternehmen.
Das für die Ereigniſſe der letzten Julitage in Betracht kommende Ge— lände iſt eine ausgedehnte Mittelgebirgslandſchaft. Die Berge erreichen hier vielfach über hundert Meter relativer Höhe, ſind ſtark zerklüftet und nur mit ſpärlichem Baumwuchſe bedeckt. Das Gebirge erhält ſeine charakteriſtiſche Gliederung durch den Taitſyho und deſſen ſüdliche Zu— flüſſe, den Lanho und den Schiho. Jener durchbricht in rein nördlicher Richtung das Gebirge, dieſer hat im Ober- und Mittellauf im allgemeinen weſtlichen Kurs, biegt in ſeinem Unterlaufe nach Norden um und geht nicht weit oberhalb des Lanho in den Taitſyho. Die Flüſſe bilden für gewöhnlich kein militäriſches Hindernis; denn zwiſchen flachen Ufern ziehen ſie in breiten Tälern mit meiſt geringem Waſſerſtande dahin, ſo daß ſie — mit Ausnahme des Taitſyho — faſt überall durchfurtet, ſtändige Brücken deshalb entbehrt werden können. Nur während der Regenzeit ſchwellen die Flüſſe zu reißenden Strömen an, überſchwemmen die Täler, wühlen die Wege auf und bereiten auf dieſe Weiſe den militäriſchen Operationen faſt unüberwindliche Schwierigkeiten. Der Sommer des Jahres 1904 war auffallend trocken, die gewohnte Regenzeit blieb in dieſem Jahr gänzlich aus. Die in den Tälern gelegenen kleinen Dörfer der Ge— birgslandſchaft ſind durchweg von Gärten umſäumt und nach außen durch loſes Steinmauerwerk abgeſchloſſen. Die Täler und die tiefgelegenen Berg⸗ hänge ſind mit Gaoljan angebaut. Über die Gebirgspäſſe führen die ſpär— lichen Wegeverbindungen. Von Tundiapu gehen in öſtlicher Richtung zwei Wege auf das einen kleinen Tagemarſch entfernte, im Schiho-Tale gelegene Sihoyan. Der nördliche, direktere und beſſere Weg überſchreitet öſtlich Zundiapu den Lanho, geht über Kutſiatſy —Lagoulin zum Paſſe von Nuſchulin, ſteigt in die Schiho⸗Ebene hinab und führt längs des ſüdlichen Ufers auf Sihoyan; von hier geht der Weg in ſüdöſtlicher Richtung über Chaotao—Hunmiaotſy auf Saimatſy. Der ſüdliche, etwas längere und ſchlechtere Weg verläßt bei Kutſiatſy den zuerſt beſchriebenen, überſchreitet den Paß von Ppjelin, ſetzt ſich in öſtlicher Richtung auf Tinkan fort, biegt nach Norden ab und mündet bei Sihoyan in den anderen Weg ein. Von den nord⸗ſüdlichen Verbindungen ſind für uns von Bedeutung der Weg Lagoulin
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—Liutſialatſy —Pantſchetſchuan —Benſiho und der Weg Benfiho—Hun- miaotfy. Die genannten Verbindungen find zur Not, der Weg Liaoyan — Sihoyan iſt gut fahrbar. Die Verwendung von Feldartillerie erſcheint ſehr beſchränkt, dagegen kann Gebirgsartillerie faſt überall fortkommen. Die Feuerwirkung wird durch zahlreiche tote Winkel beſchränkt. Für die Verpflegung der Truppen bietet das Land nicht viel: wenig und dazu nur kleines Vieh, Gemüſe und Gaoljan. Die Schnelligkeit militäriſcher Unter- nehmungen hängt von dem guten Arbeiten des außerordentlich ſchwierigen Nachſchubdienſtes ab.
Die Erſte Japaniſche Armee unter General Kuroki hatte am 26. Juni von Foenghwangtſchön den Vormarſch gegen Liaoyan angetreten. Sie hatte mit ihren drei Kolonnen am 19. Juli etwa die Linie Sihoyan — Lanſanguan —Papanlin erreicht. Die 12. Diviſion, welche den General Gerſchelmann bei Sihoyan geſchlagen hatte, bildete die nördliche, die 2. Dipi- Won die mittlere, die Gardediviſion die ſüdliche Kolonne. Die beiden letzt— genannten Diviſionen hatten am 17. Juli durch ſiegreiches Gefecht die Oſt— abteilung zum Zurückgehen hinter den Lanho gezwungen. Der nach dieſen letzten Japaniſchen Erfolgen eintretende vierzehntägige Stillſtand war un— freiwillig. Vergeblich hatte General Kuroki beim großen Hauptquartier die Genehmigung zu einer ſofortigen Fortſetzung des Angriffes erbeten. Marſchall Oyama hielt aber eine vorübergehende Einſtellung der Offenſive der Erſten Armee mit Rückſicht auf das erfolgreiche Zuſammenwirken mit den anderen Armeen für geboten.
Die Lage der Erſten Armee wurde im Stabe Kurokis um dieſe Zeit wie folgt beurteilt:
Es war den Japanern nicht entgangen, daß die Ruſſen ihrer Oſt— abteilung aus Liaoyan andauernd Verſtärkungen zuführten und außerdem den linken Flügel der Oſtabteilung in nördlicher Richtung verlängerten. Die Japaner ſchloſſen aus dieſen Maßnahmen auf die Wahrſcheinlichkeit einer Ruſſiſchen Offenſive gegen ihren rechten Flügel. Die Lage der dort befind— lichen 12. Diviſion war nicht ungefährlich. Einen Tagemarſch von der Nach— bardiviſion (2.) entfernt trennte ſie von dieſer ein nur für Infanterie ohne Fahrzeuge gangbares Gebirge. Die Diviſion war demnach ſo gut wie auf ſich ſelbſt angewieſen. Vor ihrer Front ſtand bei Kutſiatſy ein täglich ſich verſtärkender Gegner; ihre rechte Flanke aber war aus Richtung Benſiho be— droht; man wußte, daß hier ſtarke Ruſſiſche Kavallerie und einige Bataillone Infanterie Aufſtellung genommen hatten. Ein doppelter Angriff aus weſt— licher und nördlicher Richtung ſtand demnach bevor. In dieſer Auffaſſung wurde der Kommandeur der 12. Diviſion beſtärkt, als die Ruſſen als „Wetter— zeichen“ bei Kutſiatſy einen Feſſelballon hochgehen ließen, und als ſie in der darauffolgenden Nacht (29./ 30.) den Paß von Pjelin beſetzten. Der Führer der Japaner war jedoch entſchloſſen, den Angriff des Gegners nicht abzu—
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warten, ſondern mit ſeiner ganzen Armee ſelbſt zum Angriff überzugehen. Da die Zeit drängte, konnte Kuroki das Einverſtändnis des Großen Haupt⸗ quartiers nicht mehr einholen; er übernahm die N für den ſelbſtändig gefaßten Entſchluß.
Am frühen Morgen des 31. Juli ſollten die vereinigte Garde⸗ 15 2. Di⸗ viſion die Oſtabteilung am Lanho, die verſtärkte 12. Diviſion den Gegner am Juſchulin und Pjelin angreifen.
Die 12. Diviſion (General Inouye mit 15 Bataillonen, 3 Eska⸗ drons, 30 Gebirgs- und 6 Feldgeſchützen) hatte ſich nach ihrem Erfolge über den General Gerſchelmann bei Chaotao (nahe öſtlich Sihoyan) eine be— feſtigte Stellung geſchaffen. Sie war alsdann — weil man bei Chaotao kein genügendes Schußfeld hatte — noch mehrere Kilometer weiter nach Weſten vorgedrungen und hatte ſich in der weiten Schiho⸗Ebene aus tief einge- ſchnittenen Schützengräben und zahlreichen Geſchützdeckungen eine zweite Verteidigungslinie eingerichtet. Die Maſſe der Diviſion ſtand um Sihoyan verſammelt. Vortruppen waren gegen die Päſſe von Nuſchulin und Pjelin vorgeſchoben.
Für den Nachrichtendienſt beſtanden:
Telegraphiſche Verbindung zum Armee-Oberkommando (ab 29. in Lan⸗ ſanguan), telephoniſche zur 2. Diviſion (in Lanſanguan). Die 12. Diviſion verfügte außerdem über eine eigene Etappentelegraphenlinie.
Der am 19. Juli geſchlagene Gegner hatte ſich nach Kutſiatſy zurück⸗ gezogen und erſchien erſt am 26. Juli neuerdings auf dem Puſchulin.
Ereigniffe vom 26. bis 30. Juli.
Ruſſiſcherſeits hatte man mit dem Angriff auf Sihoyan weder Eile, noch wollte man wahren Ernſt machen; denn die erſten Maßnahmen des ſeit 25. Juli verſammelten, gut verpflegten, alſo operationsbereiten 10. Armee- korps waren rein defenſiver Natur. Zunächſt legte man auf den weſtlichen Lanho⸗Höhen eine verſtärkte Stellung, die „Hauptpoſition“ an und ſchob eine Avantgarde unter General Rjäbinkin gegen den Puſchulin-Paß vor, deren Vorpoſten die Höhen nördlich und ſüdlich des Paſſes beſetzten und mit den Japaniſchen Vortruppen in Fühlung traten. Dann wurde für die Avant⸗ garde eine Stellung auf den Höhen zwiſchen Kutſiatſy und Lagoulin aus⸗ geſucht, die ſogenannte „vordere Poſition“. Hier ſollte die Avantgarde im Falle eines feindlichen Angriffes den Kampf annehmen. Nach perſönlicher Erkundung kehrte General Kuropatkin am 26. Juli auf die Nachricht von einem Gefechte bei Taſchikiau über Liaoyan zu feiner Südgruppe zurück, nicht ohne vorher eingehende Anordnungen für den ſogenannten Angriff auf Sihoyan gegeben zu haben.
General Slutſchewsky ließ an dieſem Tage durch ſeine Kavallerie eine Erkundung über Pjelin ausführen. Ihr Ergebnis — vermutlich nur Aus— ſagen von Landeseinwohnern — war die Verſammlung ſtarker Japaniſcher
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Kriegsgliederung der 12. Japaniſchen Diviſion am 31. Juli 1904. Diviſionskommandeur: Generalleutnant Inouhe.
23. Inf. Brig. 12. Inf. Brig. (Kigoſchi.) (Saſaki.) Inf. Rgt. 46. Inf. Rgt. 24. Inf. Rgt. 47. Inf. Rgt. 14.
12. Artillerieregiment. 1 Feldbatterie und 5 Gebirgsbatterien, Batterie zu 6 Geſchützen.
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12. Kavallerieregiment.
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12. Pionierbataillon (3 Kompagnien).
Sanitäts-⸗Detachement. (2 Kompagnien).
Zugeteilt: 1. u. 2. Garde-Kobi-Regiment mit 1 Zuge Reiter.
Telegraphenkomp. E Kolonnen und Trains: Munitionskolonnenabteilung A A A U u Je J U Verpflegskolonnenabteilung D D Sanitätskolonnenabteilung
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Kräfte um Sihoyan. Obwohl man befürchtete, daß beier Gegner über Benſiho auf Mukden abmarſchieren könnte, blieb das 10. Armeekorps fünf volle Tage untätig in ſeiner Verſammlung um Tundiapu. Am 29. Juli ſtieg General Slutſchewsky zu Pferde, ritt zu den Vorpoſten auf die Zu, ſchulin⸗Höhen und erkundete an dieſem Tage auch perſönlich von einem bei Kutſiatſy hochgegangenen Feſſelballon aus den Feind; Slutſchewsky konnte die befeſtigten Stellungen der Japaner in der Schiho⸗Ebene feſtſtellen.
Der kommandierende General ſchätzte die Stärke des gegenüberſtehen— den Feindes auf etwa eine Diviſion und teilte die Anſicht des Armeebefehls⸗ habers“) nicht, daß man bei Sihoyan auf ſehr ſtarke Japaniſche Kräfte ſtoßen könne. Aber darin ſtimmte Slutſchewsky mit Kuropatkin vollkommen überein, daß der Vormarſch auf Sihoyan vorſichtig und metho— diſch ausgeführt werden müſſe. Überdies hatte Kuropatkin vor feinem Abgehen zur Südgruppe zur Vorſicht gemahnt. Nach ſeiner beſtimmten Willensäußerung mußte ein neuer Mißerfolg, der einen ſehr üblen Eindruck auf die Truppen und auf ganz Rußland machen würde, vermieden werden.
Das notwendig erachtete, „vorſichtige“ und „methodiſche“ Vorgehen auf Sihoyan ſollte in einem ſchrittweiſen Vorſchieben der Truppen gegen den Feind beſtehen. Slutſchewsky ſtellte ſich die Ausführung dieſes Gedankens, wie folgt, vor: Man ſollte bei Tag oder Nacht zunächſt eine unweit vorwärts der bisherigen Avantgardenpoſition gelegene Stellung er— reichen und ſich dort eingraben. Nachdem man ſich in der neuen Poſition verſchanzt habe, ſollte in eine neue vorgerückt, dieſe wiederum befeſtigt werden uſw.; daneben ſollten Wege erkundet und ausgebeſſert werden, um Flankenumgehungen ausführen zu können. Dieſes ſchrittweiſe Vorgehen konnte nach Anſicht Slutſchewskys allerdings eine Beſchränkung in der Zeit finden, denn es war wohl denkbar, daß General Kuroki hinter einem Schleier von Vortruppen mit der Maſſe ſeiner Truppen auf Mukden abmarſchiere. In dieſem Falle würde es erforderlich werden, ſchnell auf Sihoyan vorzu— gehen, um den Japanern in Flanke und Rücken zu fallen.
Im Sinne dieſer Auffaſſung wurde am 29. Juli nachſtehender Korps- befehl für die beiden nächſten Tage ausgegeben:
Korpsbefehl des 10. Armeekorps für den 30. und 31. Juli 1904. (Nach Tettau.) Lagoulin, 29. Juli 1904. Die Avantgarde des Feindes in der Stärke von etwa 1 Infanterie» brigade mit 18 Geſchützen und 6 Eskadrons hat Sihoyan beſetzt. Sein Gros iſt, nach Meldungen von Kundſchaftern, öſtlich von Sihoyan in Richtung auf
) Nach einer im Gefecht vom 31. Juli erbeuteten Ruſſiſchen Zuſammenſtellung wurde die Erſte Japaniſche Armee am 3. Juli auf ſechs Diviſionen und eine ſelbſtändige Kavalleriebrigade geſchätzt.
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Hunmiaotſy verſammelt. Das mir unterſtellte Korps wird, falls der Feind zum Angriff übergehen ſollte, den Kampf auf den Höhen öſtlich vom Dorfe
Muntſiapu annehmen. Hierzu befehle ich:
1. Avantgarde. Gen. Lt. Mau 31. Inf. Div. 73/, Bat. 31. Art. Brig. 40 Geſch.
1. Argun. Got, ot, 1 Sotnie 6. Pion. Bat. 1 Komp.
73/4 Bat., 40 Geſch., 1 Sotnie, 1 Pion. Komp.
2. Gros. Gen. Maj. Gerſchelmann 1. Brig. 9. Div. 7 Bat. 9. Art. Brig. 40 Geſch. 1. Oſtſib. Geb. Battr. 5 Geſch. 1. Argun. Kaſ. Rgt. 1 Sotnie 6. Pion. Bat. 1 Komp.
7 Bat., 40 Feldgeſch., 5 Geb. Geſch., 1 Sotnie, 1 Pion. Komp.
3. Rechte Seitenabteilung. Gen. Maj. Martſon 2. Brig. 9. Div. 8 Bat. 9. Art. Brig. 8 Geſch. 1. Oſtſib. Geb. Battr. 2 Geſch. Terek⸗Kuban⸗Reit.Rgt. 2 Sotn. 1. Argun. got, Rgt. ½ Sotn. 6. Pion. Bat. 1 Komp. 8 Bat., 8 Feld⸗, 2 Geb. Geſch., 2½ Sotnien, 1 Pion. Komp.
4. Linke Seitenabteilung. Gen. Maj. Grekow 34. Sſjewski⸗Inf. Rgt. 1 Bat. 1. Orenbg. Kaſ. Mot, 5 Sotn. 1. Argun. af. Rgt. 1 Sotnie
1 Bat., 6 Sotnien.
nimmt den Kampf in der augenblick⸗ lich von ihren Vorpoſten beſetzten
Stellung an, weshalb dieſe ſchon jetzt
mit genügend ſtarken Truppen zu beſetzen iſt. Dieſe Poſition iſt ohne Aufſchub zu befeſtigen.
nimmt Aufſtellung:
a) 1. Brig. 9. Inf. Div. (33. Jelez⸗
und 2 Bat. 34. Sſjewks⸗Rgts.) öſtlich von Lagoulin;
b) die Artillerie, unter Bedeckung eines Bataillons Sſjewsk⸗Rgts., bei Tundiapu.
deckt die Ausbeſſerung des Weges Lipiyu⸗Tinkan, ſichert die rechte Flanke des Korps und hält enge Verbindung mit dieſem nach links und mit der Abteilung des Grafen Keller nach rechts.
deckt, beim Dorfe Liutſialatſy befind⸗ lich, die linke Flanke des Korps und hält Verbindung mit letzterem nach rechts, mit der Abteilung Ljuwabin über das Dorf Tachejan nach links.
5. Terek⸗Kuban⸗Reiterregiment (4 Sotnien) geht in Re⸗ ſerve zur 1. Brigade 9. Infanteriediviſion. Das bei dieſem Regiment befindliche Jagdkommando hält Verbin— dung mit der linken Seitenabteilung.
Beiheft 3 Mil. Wochenbl. 1908. 2. Heft.
3
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Das Jagdkommando des Hauptmanns Kaſanowitſch wird dem Kommandeur des 121. Penſa⸗Infanterieregiments zur Aufklärung in der rechten Flanke und zur Verbindung mit der rechten Seitenabteilung zur Verfügung geſtellt.
6. Meldungen ſind nach dem Dorfe Lagoulin zu ſchicken.
7. Der Hauptverbandplatz iſt zwiſchen dem weſtlich Lagoulin liegenden Paſſe und dem Dorfe Kutſiatſy zu errichten.
8. Die Trains 2. Ordnung gehen nach dem Dorfe Tundiapu zurück. Zur Bedeckung der Trains beſtimmt jede Diviſion 1 Kompagnie und einen Zug Kaſaken.
9. Die Artillerieparkbrigaden nehmen vorwärts des Dorfes Kutſiatſy Aufſtellung.
10. Stellvertreter: Generalleutnant Mau, Generalmajor Gerſchel—
N Slutſchewsky.
Vergeblich ſuchen wir in dieſem Befehle nach offenſiven Anordnungen. Der „Angriff“ auf Sihoyan beſteht nur darin, daß die bisherige Vorpoften- ſtellung am Nuſchulin zur Hauptpoſition ausgebaut wird, während die Vor— poſten um einige Kilometer gegen Oſten vorgeſchoben werden. Die Flanken des Armeekorps ſollten gleichzeitig durch Abteilungen geſichert werden, die gegen den Paß von Pjelin und auf der Straße gegen Benſiho vorzuſchieben waren.
Dieſer Korpsbefehl gab eben nichts anderes als die Anordnungen für den erſten Schritt des „vorſichtigen und methodiſchen“ Vorgehens auf Sihoyan.
Dem genannten Befehle zufolge wurde die Brigade Rjäbinkin durch die nene Avantgarde (General Mau mit 734 Bataillonen, 1 Sotnie, 40 Ge— ſchützen und 1 Sappeurkompagnie) abgelöſt. Die Truppen begannen am 30. Juli mit dem Ausheben von Schützengräben und Geſchützeinſchnitten zu beiden Seiten des Yuſchulin-Paſſes. Von den 40 Geſchützen konnten hier nur 16 mit großer Mühe in Stellung gebracht werden; die übrigen 24 ſchickte General Mau nach Tundiapu zurück. Während das Regiment 121 und jene 16 Geſchütze ſüdlich des Schiho verblieben, wurde das Regiment 122 auf das nördliche Flußufer hinübergeſchoben; hier vertrieb es Japaniſche Vortruppen von einer beherrſchenden Höhe und begann auf dieſer mit der Anlage von Befeſtigungen.
Die rechte Seitenabteilung (General Martſon mit 8 Ba— taillonen, 21% Sotnien, 10 Geſchützen, darunter 2 Gebirgsgeſchütze und eine Pionierkompagnie) vertrieb in der Nacht vom 29. auf 30. vom Paſſe von Pjelin Japaniſche Vortruppen, die ohne Kampf in öſtlicher Richtung zurück—
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wichen. General Martſon ließ nunmehr durch 4 Bataillone und die Pionier- kompagnie die Paßhöhe beſetzen. Ein Verſuch, Geſchütze auf ihr in Stellung zu bringen, ſcheiterte an der Steilheit der Berghänge. Zur Aufnahme der Verbindung mit der Oſtabteilung wurden 2 Kompagnien in ſüdlicher Rich⸗ tung nach Tangiaputſy entſandt, welche den linken Flügel der Oſtabteilung bei Ziuzougou feſtſtellten. Der Reſt der Truppen des Generals Martſon nächtigte vom 30. auf 31. in Lipiyu.
Die linke Seitenabteilung (General Grekow mit 1 Bataillon und 6 Sotnien) nahm bei Liutſialatſy Aufſtellung. Sie ſchob eine Sotnie in nördlicher Richtung auf Pantſchetſchuan vor, um die Verbindung mit Ge— neral Ljubawin aufzunehmen, der mit 2 Kaſakenregimentern und 4 Ba- taillonen bei Benſiho Aufſtellung genommen hatte und hier am äußerſten linken Flügel der Ruſſiſchen Armee ſtand.
Von den Reſten des Armeekorps nächtigten vom 30. auf 31. Juli 6 Bataillone, 5 Sotnien und 1 Pionierkompagnie um Lagoulin, die Maſſe der Geſchütze mit 1 Bataillon Bedeckung war nach Tundiapu zurück⸗ genommen. Das Generalkommando hatte ſein Quartier in La— goulin aufgeſchlagen und ſtand in telegraphiſcher, telephoniſcher und helio— graphiſcher Verbindung mit der Avantgarde, in telephoniſcher Verbindung mit Lipiyu, Liutſialatſy und Tundiapu. Die Mitführung und Anwendung ſo zahlreicher Verkehrsmittel beim 10. Armeekorps war das perſönliche Ver— dienſt des Generals Slutſchewsky, der während ſeiner Dienſtzeit faſt aus— ſchließlich techniſche Truppen befehligt hatte. Im Laufe des 30. Juli konnte man im Korpsſtabsquartier hören, daß für den kommenden Tag eine An— griffsbewegung geplant ſei. Einzelheiten wurden hierüber nicht bekannt, Befehle nicht ausgegeben. Die Nachrichten, die man über den Gegner hatte, waren immer noch recht ſchwankend. .
Die Japaniſche 12. Diviſion hatte ihre Aufſtellung um Sihoyan nicht verändert und ihre rege Auͤfklärungstätigkeit durch zahl— reiche Chineſiſche Spione ergänzt. Die Verwendung von Spionen hatte ſich im Gebirge, wo die wenigen Übergänge ohne Mühe gegen jede Aufklärungs— tätigkeit von Patrouillen geſperrt werden konnten, als unbedingt notwendig erwieſen. Schon frühzeitig organiſierten die Japaner einen regelrechten Spionagedienſt. Zahlreiche intelligente Chineſen wurden notdürftig mit den Ruſſiſchen Schriftzeichen vertraut gemacht; fie wurden vor allem im Ab— leſen bzw. Abſchreiben der Tafeln, welche die Ruſſen zur Bezeichnung ihrer hohen und höchſten Kommandoſtellen in den Ortſchaften anbrachten, unter— wieſen. Auf dieſe Weiſe war man über den Gegner gut unterrichtet. Die Vortruppen der Diviſion hatte man nach dem Erſcheinen der Ruſſen auf den Höhen nördlich des Schiho und auf dem Paſſe von Pjelin in Richtung auf das Gros um einige Kilometer zurückgenommen.
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Der Kommandeur der 12. Diviſion, General Inouye, war ein ftiller Herr, der die eigene Geſellſchaft jeder anderen vorzog, und dem jegliche geſellige Verpflichtung eine Laſt war. Auf Grund der Anordnungen des Armee⸗ Oberkommandos gab er für die ihm unterſtellten Truppen den An- griffsbefehl für den 31. Juli aus, der folgendes anordnete:
Brigade Kigoſchi (6 Bataillone) greift die Ruſſiſchen Stellungen beiderſeits des Schiho an; ihr Angriff wird durch 24 Gebirgs- und 6 Feld- geſchütze unterſtützt;
Brigade Saſaki“) (5 Bataillone, 1 Eskadron, 6 Gebirgsgeſchütze und 1 Sanitätskompagnie) geht gemeinſam mit der von Süden kommenden Abteilung Okaſaki (4 Bataillone) der 2. Diviſion zum umfaſſenden Angriff gegen den Paß von Pjelin vor;
die der 12. Diviſion vorübergehend zugeteilten Kobi-NRegimen- ter hatten die rechte Flanke und den Rücken der Diviſion gegen Ruſſiſche Unternehmungen aus Richtung Benſiho zu decken;
als Verfügungstruppen hielt ſich der Diviſionskommandeur 1 Bataillon der Brigade Saſaki, 2 Eskadrons und das Pionierbataillon zurück.
Das Gefechts feld vom 31. Juli.
Das Gefecht vom 31. Juli mußte ſich auf Grund der Anordnungen der beiderſeitigen Führer in zwei räumlich getrennten Gruppen abſpielen: nördlich im Gelände beiderſeits des Schiho und ſüdlich in der Umgebung des Paſſes von Pjelin.
Das Gelände beiderſeits des Schiho
erhält durch den Fluß ſeine charakteriſtiſche Gliederung. Der Schiho zieht von Sihoyan mit allgemein weſtlicher Richtung in einem 2000 bis 3000 m breiten, fruchtbaren, am Gefechtstage von Gaolyan beſtandenen Tale dahin, macht dann eine ſcharfe Biegung nach Norden, verengt dabei ſein Tal und nimmt nachher ſeine weſtliche Laufrichtung wieder auf.
Aus dem Tale ſteigen die Berge um 30 bis 150 m empor; fie hängen in Ketten zuſammen, die im allgemeinen in nord-ſüdlicher Richtung verlaufen. Eine ſolche ſchiebt ſich auf dem nördlichen Schiho-Ufer bis zum ſüdlichſten Punkte des Flußbogens vor, während ſüdlich des Fluſſes zwei parallele, durch ein ſchmales Tal getrennte Bergketten gegen den Schiho heranführen; von dieſen erſtreckt ſich die öſtliche bis zum Dorfe Linſcha, während die weſtliche den Schiho auf ſeiner nördlich gerichteten Flußſtrecke begleitet. Über die zuletzt genannte Bergkette führt in weſt-öſtlicher Richtung im Paſſe von uſchulin der Weg Tundiapu— Kutſiatſy—Lagoulin —Sihoyan. Auf den Höhen beiderſeits des Paſſes, kurz Yuſchulin-Stellung genannt, waren
„ General Schimamura wurde erſt Mitte Auguſt Saſakis Nachfolger.
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die Hauptbefeſtigungen der Ruſſen angelegt. Die Höhen liegen hier etwa 30 m über der Talſohle, ſteigen aber ſüdlich des Paſſes allmählich bis zu 100 m Höhe an; die Hänge fallen ſehr ſteil gegen Oſten ab. Die natürliche Stärke der Puſchulin⸗Stellung iſt deshalb außerordentlich groß; die Fern- ſicht in öſtlicher Richtung und auch das Schußfeld werden aber durch die über⸗ höhende Lage der anderen Bergketten ſehr beſchränkt. So erhebt ſich der ſüdlich Linſcha endende Höhenzug ziemlich bedeutend über die Puſchulin⸗ Stellung.
Die nördlich des Schiho gelegene Bergkette weiſt in ihrem ſüdlichen Ende einen etwa 120 m hohen, von den Japanern Makurayama (Polſterberg) genannten Berg auf. Sein mit dichtem Buſchwerk bedeckter Oſtabhang iſt ſo ſteil, daß er von Infanterie nur auf Händen und Füßen kriechend erklommen werden kann. Nach Weſten ſenken ſich die Hänge ſanft zum Schiho⸗Tale. Nördlich des Makurayama bildet ein auf 70 m Höhe gelegener Sattel den Übergang zu den nördlich anſchließenden Bergen, die bis zu 200 m Höhe anſteigen und teilweiſe zuckerhutähnliche Geſtalt haben. Die Bergformen werden im Norden lebhafter. Von der Hauptkette zweigen hier, durch ſchmale Täler getrennt, Parallelketten ab; durch ein ſolches Tal führt der Weg, der in nördlicher Richtung nach Benſiho geht. Da die Berge nördlich des Schiho die Puſchulin⸗Stellung überhöhen, lag ein Teil der Ruſſiſchen Kampfſtellungen auch nördlich des Fluſſes.
Das Gelände am Paſſe von pPjelin.
Der Paß von Pjelin iſt etwa 7 km ſüdlich jenes von Puſchulin gelegen. Die Berge haben hier einen ganz ähnlichen Charakter wie im Norden, doch ſind ſie ſteiler und lebhafter gegliedert. Über die Berge führt in weſt⸗öſtlicher Richtung im Paſſe von Pjelin der Weg Kutſiatſy—Lipiyu— Tinkan—Sihoyan. Die Stellungen der Ruſſen lagen hier auf den Höhen nördlich und ſüdlich des Paſſes. Die zwiſchen den Päſſen von Pjelin und Yuſchulin gelegenen Berge find ſteil und hoch, daher äußerſt ſchwierig zu be, gehen. Hier wurde am 31. Auguſt nicht gekämpft. Die Gefechtshandlung am Pjelin vollzog ſich vollkommen unabhängig von jener am Puſchulin. Eine Augenverbindung zwiſchen den beiden getrennten Teilen des Gefechts— feldes war ausgeſchloſſen.“)
Das Gefecht vom 31. Juli.“)
Die Ruſſiſche Avantgarde befand ſich in der Nacht vom 30./ 31. in ihrer „Poſition“ beiderſeits des Schiho. Südlich des Fluſſes — auf den Höhen des Nuſchulin — hatte das Regiment 121 mit ſeinen vier Bataillonen eine
*) Dieſe Angaben ſtützen ſich auf eine Außerung des Generals Hamilton und auf Mitteilungen des Captains Jardine. ) Siehe hierzu die Skizze 3 am Schluß des Heftes.
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4 km ausgedehnte, ſtark befeſtigte Stellung eingenommen. In ihr ſtanden, auf mehrere Gruppen verteilt, 16 Feldgeſchütze. Auf dem Kamme des Höhenzuges hatte man für ſie künſtliche Deckungen geſchaffen, die ſich zum Teile ſcharf von ihrer Umgebung abhoben.
Nördlich des Fluſſes ſtand das Regiment 122. Es hatte ſeine Kampf⸗ ſtellung auf dem Makurayama“) und auf den nördlich anſchließenden Höhen. Die Befeſtigungen waren aber hier — vielleicht wegen des be— ſonders ungünſtigen Bodens — nicht ſehr weit gediehen; denn es wird nur von ſpärlichen Deckungen auf dem Makurayama berichtet. Das Regiment hatte ein Bataillon (3./ 122) auf Vorpoſten. Von dieſem ftand eine Feld— wache auf dem Makurayama, eine andere auf der Höhe nordöſtlich des Sattels. Der Vorpoſtendienſt ſcheint, wenigſtens in dieſer Nacht, äußerſt läſſig betrieben worden zu ſein. Nicht eine einzige Patrouille ſchickte man während der Nacht in Richtung auf die befeſtigten Stellungen der Japaner ab. Die Maſſe des Regiments nächtigte in einem ausgedehnten Zeltlager, das man hinter der Kampfſtellung aufgeſchlagen hatte.
Der Japaniſche Srontangriff.
Während Marſchall Kuroki mit der 2. und Gardediviſion am frühen Morgen des 31. Juli zum Angriff gegen die Stellungen der Oſtabteilung bei Tächawuan am Lanho-Fluſſe ſchritt, hatten ſich auch die Kolonnen der 12. Di- viſion in Bewegung geſetzt. Von dieſer war die Brigade Kigoſchi unter dem Schutz der Dunkelheit in zwei Kolonnen angetreten. Die ſüd— liche Kolonne — 3 Bataillone des Regiments 24 — hatte den Auf— trag: ſüdlich des Schiho gegen die Nuſchulin-Stellung vorzugehen. Noch während der Nacht erreichte das Regiment die Höhen ſüdlich Linſcha und entwickelte ſich hier, 900 m vom Gegner entfernt. Die Abſicht des Japaniſchen Führers war, den Ruſſiſchen rechten Flügel umfaſſend anzugreifen. Als es dämmerte, ſahen ſich die Japaner vom Feinde durch eine deckungsloſe Mulde getrennt, die nur unter ſchwerſten Verluſten und unter dem Flankenfeuer der Geſchütze der Nuſchulin-Stellung hätte durchſchritten werden können. Unter dieſen Verhältniſſen verzichtete das Regiment“ “) auf einen entſcheidenden Angriff, begnügte ſich mit der Beſetzung des Höhenrückens ſüdlich Linſcha, grub ſich hier ein***) und führte mit Tagesanbruch ein hinhaltendes Gefecht
„) Der Große Generalſtab bezeichnet in Heft 41.42 einen anderen Berg als Makurayama.
**) Das ſich in der Schlacht am Jalu ganz beſonders ausgezeichnet hatte.
an) Nach Oberſt Gertſch: „Vom Ruſſiſch-Japaniſchen Kriege“, Bern 1907, 1. Bd., der darüber ſchreibt: „Das weitere Vorgehen erſchien als zu ſchwierig. Nach dem ſteilen Abſtiege wäre die offene Talſohle zu durchſchreiten und dann eine nördlich davon gelegene ſteile und ſtark beſetzte Höhe zu erſteigen geweſen. Und die dort ſtehende Ruſſiſche Artillerie beherrſchte das ganze Umgelände.“
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auf mittlere Entfernung. Es griff während des Geſamtverlaufes des Kampfes vom 31. Juli ernſtlich in das Gefecht nicht ein.“)
Die nördliche Kolonne — Regiment 46 mit 3 Bataillonen — ſollte den Gegner nördlich des Schiho angreifen. Das Regiment hatte ſich in der befeſtigten Stellung weſtlich Fangſchen verſammelt und trat aus dieſer um 4 Uhr den Vormarſch an. Von den zwei Bataillonen der erſten Gefechtslinie nahm das rechte Flügelbataillon Marſchrichtung gegen Norden, das linke Flügelbataillon gegen den Makurayama; das dritte Bataillon folgte in zweiter Gefechtslinie. |
Nördlich Linſcha durchfurtete das linke Flügelbataillon den Schiho, erreichte kurz vor Tagesanbruch und unbemerkt vom Gegner das Dorf Fuſchaputſu, zu deſſen beiden Seiten es ſich entwickelte, legte ſich dann im toten Winkel des ſteilen Oſtabfalls des Makurayama nieder und wartete hier die Entwicklung des rechten Flügelbataillons ab. Dieſes hatte weiter oberhalb den Schiho durchſchritten und ſich gegen die Höhen nördlich des Makurayama gewandt. Es erkletterte hier die ſteilen Hänge und überraſchte auf halber Höhe — gerade bei Tagesanbruch — eine Ruſſiſche Feldwache. Der Überfall war ſo vollkommen, daß die verſchlafenen Ruſſen ſich gar nicht zur Wehr ſetzten, ſondern eiligſt das Weite ſuchten. An der Stelle, wo der Ruſſiſche Vorpoſten überraſcht worden war, fanden die Japaner eine Strohpuppe in Ruſſiſcher Uniform. Sollte dieſer Strohmann den benachbarten Ruſſiſchen Sicherungen die vermeintliche Wachſamkeit der Feldwache vorſpiegeln oder ſollte er dieſe Wirkung auf die Japaner in der Schiho⸗Ebene ausüben! Für den Betrieb des Ruſſiſchen Vorpoſtendienſtes iſt jene Puppe jedenfalls charakteriſtiſch. Die Japaner waren der in weſt⸗ licher Richtung zurückflüchtenden Feldwache dicht auf den Ferſen geblieben. Als fie die Höhe nördlich des Sattels erreichten, da lag auf 300 m vor ihren erſtaunten Augen ein großes feindliches Zeltlager, wo es gar bunt durch— einander ging. Die Ruſſen ſchienen hier erſt vor kurzer Zeit alarmiert worden zu ſein. Sofort eröffneten die Japaner ein kräftiges Feuer auf die wild bewegten Ruſſiſchen Maſſen. Da ging es übermütig zu bei den Japa— nern, wie Hamilton berichtet. „Du, ſchieß mal auf den alten Offizier, der die Hoſen anzieht!“ „Nein, nein, ſchieß lieber auf den dicken Major, der den Säbel umſchnallt!“ „Ein Pferd, ein Pferd! Schießt doch auf das Pferd!“ So amüſierten ſich die Japaniſchen Schützen. Dazwiſchen tönten wilde Freudenrufe und helles Gelächter, wie von ausgelaſſenen Schulkindern; man hätte dabei den Ernſt der Lage beinahe vergeſſen können. Die Ruſſen da— gegen ſetzten ſich mit der ihnen eigenen Ruhe zur Wehr. So wird von einem jungen Offizier erzählt, der im ſtärkſten feindlichen Feuer fortfuhr, das
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) Ein Bataillon wurde ſpäter zum Angriffe gegen den Makurayama eingeſert.
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Geſicht zu waſchen und feine Haare ſorgfältig zu bürſten. Eine Panik war nicht zu bemerken; im Gegenteil gelang es den Ruſſen trotz des überraſchenden Angriffs mit einzelnen Teilen das Zeltlager zu verlaſſen und den allerdings vergeblichen Verſuch zu machen, die Hauptkampfſtellungen zu gewinnen. So wandten ſich einige Trupps gegen den Sattel nördlich des Makurayama, die zwar den Höhenkamm nicht mehr vor den Japanern erreichen konnten, deren Vorgehen aber genügt hatte, um beträchtliche Teile des Japaniſchen rechten Flügelbataillons von der Beſchießung des Zelt— lagers ab und auf ſich zu ziehen. Andere Ruſſiſche Trupps — etwa ein Ba⸗ taillon — waren gegen den Makurayama vorgegangen und verſtärkten noch rechtzeitig ihre auf dem Berge ſtehende Feldwache. Endlich war es zwei Ruſſiſchen Kompagnien gelungen, ein paar kleine, vor dem Zeltlager ge— legene Hügel zu beſetzen. Vor allem unter dem Schutze dieſer Kompagnien konnte der Reſt des 122. Regiments nach Preisgabe des Zeltlagers auf einen weſtlich von dieſem gelegenen Höhenrücken zurückgehen. Zu dem überfall auf das Zeltlager bemerkt General Hamilton: „Es war eben ein großes Glück für die Ruſſen, daß die Japaner nicht jo gut ſchoſſen wie die Buren; denn ſonſt wären aus dem überfallenen Zeltlager wohl nur wenige lebend davon gekommen.
Die Entwicklung des 122. Regiments in ſeiner neuen Stellung erfolgte unter dem Feuer des heftig nachdrängenden Gegners. Anfänglich ſchien es, als ob ſich die Ruſſen nicht würden behaupten können; als aber der Kom— mandeur des 2. Bataillons aus eigenem Antriebe zum Gegen— angriffe vorging, brachte er die Japaner zum Stehen. Das Bataillon hatte dabei ſchwere Verluſte erlitten, aber der Zweck ſeines Einſatzes war erreicht.
Wir müſſen uns jetzt zu den Ereigniſſen auf dem Makurayama zurück— wenden.
Die hier ſtehende Ruſſiſche Feldwache hatte vom nächtlichen Anmarſche der Japaner nichts bemerkt; es war ihr auch die Entwicklung des feindlichen Bataillons am Fuße des Makurayama entgangen. Als der Kampf um den Sattel nördlich des Berges ſich entwickelte, blieb die Feldwache untätig. Bald darauf, es war kurz vor 6 Uhr, trafen Ruſſiſche Verſtärkungen auf dem Berge ein. Die Japaner hatten nach halbſtündigem Widerſtande die gegen den Sattel vorgegangenen Ruſſen zurückgeworfen und gingen nunmehr zum Angriffe gegen den Makurayama längs der Höhenlinie vor. Auch das am Berghange entwickelte Japaniſche Bataillon ſetzte ſich jetzt in Bewegung. Auf Händen und Füßen kriechend, arbeitete es ſich, gedeckt durch das teilweiſe faſt undurchdringliche Buſchwerk, am Oſtabhange des Makurayama aufwärts und gewann nur langſam Boden. Die Ruſſen fanden daher Zeit, ſich nach beiden Seiten hin gegen einen überraſchenden Angriff zu ſchützen und ſich zur Wehr
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zu ſetzen. Lange blieb der Kampf um den Berg unentſchieden. Die Lage änderte ſich vorübergehend zugunſten der Japaner, als bei 5 Helle ihre Artillerie in den Kampf eingriff.
Die Japaniſche Artillerie ſtand öſtlich Fangſchen in Fünft- lich verſtärkter Stellung mit ausgiebigen Deckungen für Material und Be- dienung. Um die Anlagen auch der Sicht des Gegners zu entziehen, hatte man eine doppelte Reihe von Gaoljanſtengeln vor den Geſchützen in die Erde geſteckt. Nach rückwärts zu den Protzen und nach vorwärts zu den Geſchütz⸗ ſtellungen, welche für einen beabſichtigten Stellungswechſel gleichfalls ein⸗ gerichtet waren, führten vorbereitete ſchmale Wege durch die ausgedehnten Gaoljanfelder.
Um 7 Uhr morgens eröffneten die 30 Japaniſchen Geſchütze auf 3000 m Entfernung das Feuer gegen den Makurayama und überſchütteten den Berg mit Geſchoſſen. Die Ruſſiſchen Verteidiger ſahen ſich dadurch veranlaßt, ihre Köpfe hinter den Bruſtwehren der allerdings ſehr flachen Schützengräben in Deckung zu bringen. Trotz des Artilleriefeuers und trotz der numeriſchen überlegenheit der Japaner wurden dieſe erſt um 8½ Uhr und nur für kurze Zeit zu Herren des Berges, der ihnen alsbald wieder entriſſen wurde.
Die Japaniſchen Batterien nahmen im Laufe des Vormittags den vor— bereiteten Stellungswechſel vor. Eine Gebirgsbatterie wurde auf das nördliche Schiho-Ufer gezogen; fie hatte in der Ebene, nahe dem Fluſſe, 3000 m vom Puſchulin entfernt, in Stellung zu gehen. Eine Feld- und eine Gebirgsbatterie nahmen neue Aufſtellung hinter einem Höhenrücken nahe dem linken Flügel der Japaniſchen Schützengräben; hier betrug die Ent- fernung vom Nuſchulin weniger als 3000 m. Zwei Gebirgsbatterien ver— blieben in der erſten Stellung. Die Batterien richteten ihr Feuer jetzt gegen die Huſchulin⸗Stellung. Die Ruſſen ſchienen die Japaniſchen Batterien trotz Luftballons nicht aufgefunden zu haben, denn ihre Geſchoſſe ſchlugen auch nicht annähernd bei jenen ein; dieſe erlitten keinerlei Verluſte bis auf die Gebirgsbatterie, welche den Schiho zum Stellungswechſel zu überſchreiten hatte. Während der Durchfurtung des Fluſſes war fie in das Ruſſiſche Artilleriefeuer geraten und verlor bei dieſer Gelegenheit 14 Mann und einige Pferde. Da die mit Geſchützteilen bepackten Pferde unter der Ober— fläche des Waſſers verſchwanden, mußten ihre Laſten erſt herausgefiſcht werden, bevor die Batterie neuerdings in Stellung gehen konnte.
Der Japaniſche Diviſionskommandeur, General Inouye, beobachtete die Schlacht von den Höhen ſüdlich Fangſchen; er hatte telepho— niſche Verbindung mit den Regimentern der Brigade Kigoſchi. Die Ber- bindung zu Saſaki vermittelte das über Tinkan (hier Station) nach Yan» ſanguan gelegte Feldtelephon. Der Platz des einzigen Reſervebataillons des
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Diviſionskommandeurs iſt nicht bekannt. Die Kobi- Regimenter deckten, wie angeordnet, die Japaniſche rechte Flanke in Richtung auf Ben— ſiho; dorthin ſicherten und beobachteten auch die beiden Eskadrons der Diviſionsreſerve. General Inouye konnte von ſeinem Standpunkte aus das ganze Gefechtsfeld beiderſeits des Schiho gut überblicken.
Das Ruſſiſche Generalkommando war ebenſo wie die ihm unterſtellten Truppen vom Angriffe der Japaner völlig überraſcht worden. Lebhaftes Gewehrfeuer aus der „Poſition“ hatte es um 4½ Uhr aus dem Schlaf geweckt. Der kommandierende General entſandte ſeinen Stabschef auf das Gefechtsfeld, verließ aber für ſeine Perſon das Quartier während des ganzen Tages nicht. Er leitete, wie Major v. Tettau berichtet, das Ge— fecht ausſchließlich mit Hilfe ſeiner Verkehrsmittel und verzichtete darauf, ſich perſönliche Eindrücke zu verſchaffen oder perſönlichen Einfluß auf ſeine Leute auszuüben.
Von der Nuſchulin⸗Stellung aus konnte man das ganze Gefechtsfeld überſehen. Der Hauptkampf tobte um 9 Uhr morgens nördlich des Schiho, wo die Japaner, die vom Makurayama wieder hinuntergeworfen worden waren, die nördlich anſchließenden Höhen beſetzt hielten und auf 600 bis 800 m vor den Ruſſiſchen Stellungen lagen. Die erſten Ruſſiſchen Ver— ſtärkungen, die am linken Flügel eintrafen, waren zwei Jagdkommandos in der Stärke von ein paar hundert Mann, zuſammengeſetzt aus Leuten aller Regimenter des Armeekorps. Dem 122. Regiment waren auch zwei Sotnien Kaſaken von der Abteilung Grekow, die bei Liutſialatſy ſtand, als Unter— ſtützung zugeſchickt worden.
Südlich des Schiho war die Lage weniger bedrohlich, denn der Gegner, der dem 121. Regiment gegenüberlag, griff ernſtlich nicht an. Der Avantgardenführer, General Mau, konnte daher unbedenklich drei Kom— pagnien dieſes Regiments zur Unterſtützung des 122. Regiments nach dem linken Flügel ſchicken, wo ſie, noch ſüdlich des Fluſſes, in den Kampf gegen die Japaner eintraten.
Die wenigen Geſchütze der Ruſſen ſchoſſen abwechſelnd auf Artillerie und Infanterie. Die feindlichen Batterien, deren Zahl man ziem— lich richtig auf ſechs ſchätzte, vermochte man nicht genau aufzufinden; es war von ihnen ſo gut wie gar nichts zu ſehen. Obgleich ſich die Japaniſche Artillerie gut eingeſchoſſen hatte und ihre Geſchoſſe fortwährend in den Ruſſiſchen Stellungen einſchlugen, war die Wirkung der kleinen Kaliber gegen die künſtlichen Verteidigungsanlagen der Ruſſen doch ganz gering. Die Verluſte der beiden Ruſſiſchen Batterien betrugen während eines im ganzen zwölfſtündigen Kampfes nur 2 Tote und 9 Verwundete. Ganz irr—
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tümlicherweiſe waren die Japaner der Meinung, daß ſie den Ruſſiſchen Batterien ſchwerſte Verluſte beigebracht hätten.“)
Die Korpsreſerve des Generals Slutſchewsky war um Lagoulin verſammelt. Da man noch am 30. Juli dem General Grekow auf deſſen Antrag ein Bataillon (1./34) zur Verfügung geſtellt und ein weiteres Bataillon des 34. Regiments als Artilleriebedeckung nach Tundiapu zurückgeſandt hatte, verblieben dem kommandierenden General nur mehr:
5 Bataillone (4 Bataillone 33. Regiments und 1 Bataillon 34. Regiments),
5 Sotnien (davon 4 des Terek-Kuban⸗Regiments),
1 Pionier⸗ Kompagnie.
Es war ein kleines Häuflein, womit ſich General Slutſchewsky einen Einfluß auf den Verlauf des Gefechtes wahren wollte. Die Maſſe der Artillerie — 72 Geſchütze — blieb unverwendet und verbrachte den Gefechtstag untätig, weil nach der Meinung des Generalkommandos keine „geeigneten Stellungen“ vorhanden waren. Major v. Tettau iſt jedoch der Anſicht, daß die Ruſſen bei ernſtlichem Willen ſehr wohl in der Lage geweſen wären, mehr Batterien in Stellung zu bringen. Vielleicht hat aber damals ihon, wie ja im weiteren Verlaufe des Feldzuges fo häufig, die Furcht, im Rückzugsfalle einzelne Geſchütze ſtehen laſſen zu müſſen, die ſachgemäße Ver— wendung der Artillerie hemmend beeinflußt.
Der Japaniſche Angriff gegen den pjelin. a. Frontangriff.
Die Brigade Saſaki (5 Bataillone, 1 Eskadron, 1 Gebirgs- batterie und 1 Sanitätskompagnie) war aus ihrer Verſammlung um Chao— tao um 3 Uhr morgens angetreten, marſchierte über Tinkan und erreichte gegen 7 Uhr““) den tiefen Talgrund öſtlich des Paſſes von Pjelin, worin ein Pfad in nördlicher Richtung über Linſcha zum Paſſe von Puſchulin führt. Auf den Höhen weſtlich des Tales befanden ſich die Stellungen der Ruſſen. General Martſon hatte die Höhen zu beiden Seiten des Paſſes mit 11 Kompagnien des 36. Regiments und 8 des 35. beſetzen laſſen; von Delen hielten 3 als äußerſter linker Flügel eine beherrſchende, nördlich des Paſſes gelegene Höhe. Weitere 4 Kompagnien des Regiments 35 und die übrigen 5 des 36. ſtanden in Reſerve. Die Feldbatterie blieb unver— wendet mit 2 Kompagnien Regiments 35 in Lipiyu; die der Abteilung
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*) Oberſt Gertſch berichtet, daß die Japaniſche Batterie nördlich des Schiho nicht über den Makurayama hinwegzufeuern vermochte und daß die Entfernung für Gebirgsgeſchütze — auch für die ſüdliche Artilleriegruppe — zu groß geweſen ſei.
) Nach Captain Jardine.
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Martſon zugeteilten beiden Gebirgsgeſchütze ſcheinen beiderjeit3 Lipiyu in Stellung gebracht worden zu ſein; ſicher iſt, daß ſie in das Gefecht am Paſſe nicht eingegriffen haben. Endlich ſtanden von der Kolonne Martſon — wie bekannt — zwei Kompagnien in Tangiaputſy.
General Saſaki ſchätzte die Stärke des Ruſſiſchen Gegners auf etwa 12 Bataillone; er wußte, daß ihm zum Angriffe gegen dieſe eine Abteilung der 2. Diviſion die Hand reichen würde. Noch hatte Saſaki aber mit dieſem Detachement keine Fühlung gewonnen, als er zum Angriffe gegen die Stellungen der Ruſſen anſetzte.
Die Brigade Saſaki ging mit 4 Bataillonen in erſter Gefechtslinie, out, gelöſt in lockere Linien, langſam und vorſichtig durch das Tal vor, während die Eskadron die linke Flanke deckte, und nahm etwa um 8 Uhr morgens den Feuerkampf mit den Ruſſen auf. In dieſen griff auch die auf einer Höhe öſtlich des Tales in Stellung gegangene Gebirgsbatterie ein. Da der Gegner keine Artillerie zeigte, ging der Angriff anfänglich flott vorwärts, kam dann aber durch das feindliche Infanteriefeuer zum Stehen. Die Ruſſen unter— hielten in der Front, ganz beſonders aber aus einem Hohlwege ein wirkſames Feuer, das ſich mit der Garbe jener Kompagnien kreuzte, die am linken Flügel die erwähnte beherrſchende Höhe beſetzt hielten. Das Feuer war ſo ſtark, daß die Japaner nirgends geſchloſſene Abteilungen ſehen laſſen konnten, ohne Verluſte zu erleiden. Am äußerſten rechten Flügel der Ruſſen vermochte man japaniſcherſeits Bewegungen zu erkennen; an— ſcheinend bereitete ſich der Gegner hier zu einem Flankenangriffe vor. Um der Infanterie weiteres Vorgehen zu ermöglichen, hatte der Japaniſche Batterieführer — bisher allerdings vergeblich — verſucht, die Wirkung feiner Geſchütze gegen jenen Hohlweg zu vereinigen, aus welchem den An- greifern ſo empfindliches Feuer entgegenſchlug. Da ſollte ein glücklicher Zufall die genaue Lage des Hohlweges verraten. Als nämlich eine ge— ſchloſſene Ruſſiſche Infanteriekompagnie ſich ſchlecht gedeckt im Hohlwege bewegte, ſchlug in ihre Reihen ein Japaniſches Schrapnell ein, deſſen Wirkung man ganz genau beobachten konnte, weil eine Anzahl getroffener Ruſſen ſofort im Hohlwege verſchwand. Der Japaniſche Batterieführer wußte nun, was er zu tun hatte. Mit richtig geſtellten Zündern ging er zu Schnellfeuer über. Ein Schrapnell nach dem andern ſauſte gegen den Hohlweg heran, zerſprang bei richtiger Sprengpunktlage und brachte innerhalb weniger Minuten das Feuer der Ruſſen zum Schweigen.
Während die Japaner ſich ſo des unangenehmen Frontalfeuers der Ruſſen erwehrten, hatten ſie inzwiſchen auch Anſtalten getroffen, um die empfindliche Flankenwirkung des Ruſſiſchen linken Flügels aufzuheben. Eine kleine Abteilung Japaner — Hamilton erzählt, es ſeien nur ſieben Mann geweſen — umging die äußerſte linke Flanke der Ruſſen und erreichte nach mühſeligem Klettern eine Stellung, von wo aus der Feind unter Längs—
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feuer genommen werden konnte. Auf etwa 300 m Entfernung eröffneten die Japaner nunmehr ein wohlgezieltes Feuer auf die dichten Reihen der Ruſſen. Die Wirkung war durchſchlagend, denn ſchon nach wenigen Augenblicken begann der Feind zu wanken. Dieſe Erſcheinung blieb den Japanern in der Front nicht verborgen; ſie erkannten die Gunſt der Lage, ließen ihren rechten Flügel zum Sturm antreten und warfen die Ruſſiſchen Kompagnien des linken Flügels aus ihren Stellungen. Der Gegner floh den Berghang hinab und ſtieß hierbei auf drei Kompagnien, die ſamt einer Regiment3- muſik gerade im Begriff waren, den jetzt Fliehenden zu Hilfe zu eilen. Zu ſpät gekommen, wurden ſie jetzt in den Rückzug ihrer Kameraden mit hinein⸗ gezogen. Samt großer Trommel und Poſaune wälzte ſich die ganze Maſſe in wilder Flucht abwärts und, verfolgt vom Feuer der Japaner, der nächſten Deckung entgegen. An dieſer Stelle des Gefechtsfeldes verbrannten die Japaner am nächſten Tage allein 90 tote Feinde. Ruſſiſcherſeits war man der Meinung, daß die Japaner die große Wirkung gegen jene Kompagnien durch das Feuer von Maſchinengewehren erzielt hätten. Dieſe Annahme trifft nicht zu.
Dem Beginn des Gefechtes am Pjelin bis zu dem ſoeben beſchriebenen, allerdings noch nicht entſcheidenden Angriffe der Japaner gegen den Ruſſiſchen linken Flügel hatte der Stabschef des 10. Armeekorps, General Zurikow, beigewohnt. Auf deſſen, wohl wenig günſtigen Bericht über die Lage am Paſſe wurden ſeitens des Generalkommandos die vier Sotnien des Terek⸗Kuban⸗Reiterregiments der Korpsreſerve dem General Martſon über Lipiyu zur Unterſtützung zugeſandt. Das Regi⸗ ment, das auch einige Maſchinengewehre mit ſich führte, wurde für den Kampf im Gebirge als beſonders geeignet betrachtet; auch hielt man eine beſchleunigte Verſtärkung, die nur eine berittene Waffe in Anbetracht der großen Entfernungen zu bringen imſtande war, für notwendig.
Weiterer Verlauf des Japaniſchen Frontangriffs.
Südlich des Schiho änderte ſich die Lage bis zum Abend nicht. Das Regiment 121 behauptete ſich in ſeinen feſten Stellungen auf dem Puſchulin ohne Mühe gegen das Japaniſche Regiment 24.
Der Hauptkampf tobte andauernd nördlich des Fluſſes um den Makurayama. Das Gefecht wogte hier hin und her. Am rechten Flügel war um ½10 Uhr der anfänglich überflügelnde Angriff der Japaner zum Stehen gekommen. Die Ruſſen, bei denen die erſten Verſtärkungen ein— getroffen waren, machten von ihrem linken Flügel aus vereinzelte Vorſtöße, zu deren Abwehr jedoch Japaniſcherſeits der Einſatz von zwei Kompagnien des Reſervebataillons des Regiments 46 genügte.
Um 10 Uhr war der Ruſſiſche linke Flügel von neuem durch Japa— niſchen Angriff bedroht; gerade noch rechtzeitig traf das erſte Bataillon der
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Korpsreſerve (4./33.) als Unterſtützung ein. Mit heier Verſtärkung beſſerte ſich wiederum die Lage des 122. Regiments weſentlich; auch beſetzte um die gleiche Zeit etwa ein Bataillon der Abteilung Grekow auf Befehl des kommandierenden Generals die hinter dem linken Flügel des 122. Regi- ments gelegene Heliographenhöhe. Der Befehlszuſatz: „Zur Bildung eines Stützpunktes“ läßt darauf ſchließen, daß General Slutſchewsky ſchon um dieſe Stunde mehr an den Rückzug als an den eigenen Angriff dachte.
Gegen Mittag verſtummte das Gefecht faſt gänzlich. Für die Ja⸗ paner, die ſeit dem frühen Morgen keinen Fuß breit Gelände gewonnen hatten, war in der Front eine Kriſis eingetreten, die zum Glücke für die Japaner von den Ruſſen nicht ausgenutzt wurde.
Um die Kriſis zu beheben, ließ der Diviſionskommandeur den General Saſaki auffordern: nach Wegnahme des Pjelin nordwärts gegen die rechte Flanke der Ruſſiſchen Hauptkräfte zu marſchieren. Wir werden ſpäter ſehen, wie dieſe Direktive befolgt wurde.
Inzwiſchen ſtellte General Inouye feine letzten Truppen (das Bataillon der Diviſionsreſerve und 1 Bataillon Regiments 24) für erneuten Angrif